Es gibt überproportional viele Filme, die sich mit dem Machen von Filmen beschäftigen, gemessen an der Zahl tatsächlicher Regie-Profis. Dagegen kenne ich kaum einen Film, der sich mit dem Sehen von Filmen im Kino beschäftigt. Und das, obwohl hier stets 100% Betroffene, will sagen, aktive Filmeseher sitzen.
Nicht die Filme selbst fehlen uns derzeit, die schwirren ja herum. Nur sieht man sie nicht mehr in dem warmen, dunklen Saal, den man aufsucht, um gemeinsam mit anderen starke Gefühle zu erleben, die folgenlos bleiben, oder neue Gedanken zu denken anhand von Geschichten, die überraschen, erheitern, Schauer erzeugen.
Einen solchen Film übers Filmesehen oder über das, was ein Film im Kino mit uns macht, gibt es, und ich kann ihn nicht genug empfehlen. Der Film ist fast 100 Jahre alt und hat eine außergewöhnliche Länge, vielmehr: Kürze. Im ersten Drittel von Sherlock jr. ist Buster Keaton ein bemühter Privatdetektiv. Er möchte seiner Angebeteten ein Geschenk machen. Dabei trifft er auf seinen Nebenbuhler, der sich als eitler Schurke herausstellt und Buster seinerseits als Dieb dastehen lässt.
Alles Mist also. Buster kehrt zu seinem Brotberuf zurück – er ist Filmvorführer im Kino, allerdings nicht aus Leidenschaft. Beim nächsten Film schläft er ein. Wir haben nun genau ein Drittel unseres Films hinter uns, die ersten 15 Minuten, das heißt, das erste reel. Nun beginnt das hinreißende zweite Drittel von Sherlock Jr.
Buster schläft also in der Vorführkabine ein und betritt im Traum das Kino, die Vorbühne, dann ist er selbst mitten drin in dem Film auf der Leinwand. Natürlich wendet sich, nach waghalsiger Action, alles zum Guten. Am Ende tritt die Auserwählte zu Buster in die reale Vorführkabine; er wacht auf, schaut noch einmal auf die Leinwand. Endlich weiss er, was er tun muss, und auch, wie. Es folgt der Kuss.
Buster Keatons Kampf mit Objekten, die sich ihm in den Weg stellen, ist Legende. Der Komiker mit dem Motto “Action ohne Trick” verfügte über genaues Timing und eine phänomenale Akrobatik, die zu den unglaublichsten Lösungen führt. Natürlich gehört auch immer Glück dazu. Eine defekte Brücke muss er genau in dem Moment queren, als sich darunter zwei entsprechend hohe Möbelwagen begegnen. Zum Glück gehört aber auch der Tüchtige; melodramatisch ist Keaton, im Gegensatz zu Chaplin, nie, eher der Frosch, der stoisch die Milch tritt, bis sie Butter wird.
Dramaturgisch merkt man dem 45-Minüter die drei reels an, die dann zur klassischen Drei-Akt-Struktur von Hollywood wurden. Wichtiger ist, dass uns hier vorgeführt wird, wie Kino funktioniert: Man sieht in zufälliger Gemeinschaft mit anderen Menschen noch anderen bei ihrem Tun zu, interessanten, attraktiven Figuren, Gangstern und Psychopathen, die uns schrecken – aber tatsächlich nie zu nah kommen. Das macht den Reiz des Kinos aus, die vielbeschriebene Angstlust und andere Gefühle, die man hat, ohne sich den Folgen wirklich stellen zu müssen. Dennoch ist es gut, hier mit einem Freund unterwegs zu sein. Buster Keaton ist ein solcher Freund.