FILMTIPP #27: KÖRPER UND SEELE VON ILDIKÓ ENYEDI (UNGARN 2017). IM HAUS BURGGARTEN, INGELHEIM, 8. OKTOBER 2020

Quelle: Philipp Soldt (Hg.), Ästhetische Erfahrungen. Neue Wege zur Psychoanalyse künstlerischer Prozesse. Gießen 2007, S. 64.

Mit den Internationalen Tagen, der Kunstausstellung der Fa. Boehringer, ver­bindet uns eine lange Kooperation. Auch für das Jahr 2020 hatten wir als F!F ein Begleitprogramm zusammengestellt, diesmal zur Ausstellung Paul Klee. Tierisches! Davon übrig geblieben ist nun Körper und Seele, das mehr­fach preisgekrönte Melodram der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi. Der Tierfilm-Spe­zia­list Dr. Carlo Thielmann wird in den Film einführen.

Ein Film größtmöglicher Spannung, was die Beziehung des Menschen zum Tier angeht. Auf der einen Seite gibt es traumver­lo­re­ne, surreale Bilder von Hir­schen und Hirschkühen auf nächt­li­chen Weiden. Dagegen die Realität eines Schlachthofes, wo Tiere als ‘Vieh’ mecha­nisch getötet und industriell verar­beitet werden. Die Klammer beider Welten sind die beiden Seelen von Mária und Endre, die sich hier finden und doch, selbst aus den Fugen, einander kaum mehr als verzweifelten Halt geben können.

Was wäre nun, über das offenkundige Thema hinaus, eine tiefere Verbin­dung dieses Films zu Paul Klee? Wie kein anderer Künstler zeigt dieser Künstler auf, dass Tiere das sind oder das werden, was wir in unserer Vorstel­lung aus ihnen machen. Das hat viel weniger mit dem Schosstier-Phänomen zu tun als mit dem Unbe­wuss­ten, das offensichtlich genau an jenen Lebewe­sen gerne entgleist, denen der Homo sapiens in der Evolution am nächsten steht.

Und das wiederum gleicht einer Reaktion, wie sie auch im Kino andauernd zum Tragen kommt. Kino ist mehr als die gern zitierte Flucht aus dem All­tag: Es ist auch das lustvolle und manchmal fast verzweifelte Bemühen, aus einer Viel­zahl von Informa­tionen & Zeichen, Worten & Bildern einen Sinn zu ba­steln, der eine stimmige Geschichte ausmacht und am Ende eine Hal­tung zum Er­zähl­ten erzeugt, die wir unterm Strich sinnvoll und befriedigend finden.

Dies alles lässt sich wiederum mit einer Klee-Skizze von 1922 verdeutlichen, die in der aka­demischen Psychoanalyse viel Aufmerksamkeit gefunden hat (s. Fo­to. © Zentrum Paul Klee, Bern): Das Blatt hat man zehn ExpertInnen vor­gelegt; es ka­men zehn verschiedene Deutungen heraus, je nach den ‘objekti­ven’ Fakten, die ein­zel­nen InterpretInnen über Le­ben und Werkbiographie be­kannt waren: Klees Verbindung zur Musik, zur Esoterik, zu Freud, zur Kunst des Via­dukt­baus usw. Anhand des Vergleichs der Einzeldeutungen konn­te im De­tail nach­gewiesen werden, was die einzelnen Wissenschaftle­rInnen auch an Eige­nem mit in die Interpretation einfließen ließen. Ähnlich verhält es sich im Kino: Wir alle sind hier ExpertInnen, die scheinbar in der Lage sind, ob­jektiv zu sehen. Wenn aber nach dem Film zur Spra­che kommt, was wer ge­nau gesehen hat, er­weist sich als weitreichend dominant der Filter der indivi­duellen biographi­schen Brille.

Daher ist noch ein weiterer Schritt notwendig, um sich objektiver über Film auszutauschen, und das ist der Übergang von der psychoanalytisch-in­di­vi­duel­len zur ästhetischen Betrachtung. Dabei geht es nicht darum, was ‘schön’ zum Beispiel an dieser Zeichnung oder eben einem ganzen Film ist, sondern was jede Linie, jeder Punkt, jeder Rhythmuswechsel und überhaupt alles for­mal Beschreibbare in der Beziehung zu allen anderen Elementen des Kunst­werks ausmacht. Das klingt für Filme schwierig, ist es aber nicht.

Mit Blick auf Körper und Seele gilt es nun, noch einmal die Kurve in die­sem kunsttheoretischen Exkurs zu bekommen: Die Bilder aus dem Schlacht­haus von Budapest sind echt, nichts anderes als unser realer Umgang mit dem “Produkt” Tier; die Bilder der Hirsche und Hirschkühe gehö­ren einem an­deren Register an. Sie gehören auch eher Mária und Endre als uns. Sie sind, so ist auch der Titel der Klee-Skizze, Traumhaftes. Den­noch verob­jek­ti­vieren wir sie im Kino, so wie wir hier versuchen alles zu objek­tivieren, ohne aber je un­se­rem ei­genem Un­bewussten zu entkommen.

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