Mit den Internationalen Tagen, der Kunstausstellung der Fa. Boehringer, verbindet uns eine lange Kooperation. Auch für das Jahr 2020 hatten wir als F!F ein Begleitprogramm zusammengestellt, diesmal zur Ausstellung Paul Klee. Tierisches! Davon übrig geblieben ist nun Körper und Seele, das mehrfach preisgekrönte Melodram der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi. Der Tierfilm-Spezialist Dr. Carlo Thielmann wird in den Film einführen.
Ein Film größtmöglicher Spannung, was die Beziehung des Menschen zum Tier angeht. Auf der einen Seite gibt es traumverlorene, surreale Bilder von Hirschen und Hirschkühen auf nächtlichen Weiden. Dagegen die Realität eines Schlachthofes, wo Tiere als ‘Vieh’ mechanisch getötet und industriell verarbeitet werden. Die Klammer beider Welten sind die beiden Seelen von Mária und Endre, die sich hier finden und doch, selbst aus den Fugen, einander kaum mehr als verzweifelten Halt geben können.
Was wäre nun, über das offenkundige Thema hinaus, eine tiefere Verbindung dieses Films zu Paul Klee? Wie kein anderer Künstler zeigt dieser Künstler auf, dass Tiere das sind oder das werden, was wir in unserer Vorstellung aus ihnen machen. Das hat viel weniger mit dem Schosstier-Phänomen zu tun als mit dem Unbewussten, das offensichtlich genau an jenen Lebewesen gerne entgleist, denen der Homo sapiens in der Evolution am nächsten steht.
Und das wiederum gleicht einer Reaktion, wie sie auch im Kino andauernd zum Tragen kommt. Kino ist mehr als die gern zitierte Flucht aus dem Alltag: Es ist auch das lustvolle und manchmal fast verzweifelte Bemühen, aus einer Vielzahl von Informationen & Zeichen, Worten & Bildern einen Sinn zu basteln, der eine stimmige Geschichte ausmacht und am Ende eine Haltung zum Erzählten erzeugt, die wir unterm Strich sinnvoll und befriedigend finden.
Dies alles lässt sich wiederum mit einer Klee-Skizze von 1922 verdeutlichen, die in der akademischen Psychoanalyse viel Aufmerksamkeit gefunden hat (s. Foto. © Zentrum Paul Klee, Bern): Das Blatt hat man zehn ExpertInnen vorgelegt; es kamen zehn verschiedene Deutungen heraus, je nach den ‘objektiven’ Fakten, die einzelnen InterpretInnen über Leben und Werkbiographie bekannt waren: Klees Verbindung zur Musik, zur Esoterik, zu Freud, zur Kunst des Viaduktbaus usw. Anhand des Vergleichs der Einzeldeutungen konnte im Detail nachgewiesen werden, was die einzelnen WissenschaftlerInnen auch an Eigenem mit in die Interpretation einfließen ließen. Ähnlich verhält es sich im Kino: Wir alle sind hier ExpertInnen, die scheinbar in der Lage sind, objektiv zu sehen. Wenn aber nach dem Film zur Sprache kommt, was wer genau gesehen hat, erweist sich als weitreichend dominant der Filter der individuellen biographischen Brille.
Daher ist noch ein weiterer Schritt notwendig, um sich objektiver über Film auszutauschen, und das ist der Übergang von der psychoanalytisch-individuellen zur ästhetischen Betrachtung. Dabei geht es nicht darum, was ‘schön’ zum Beispiel an dieser Zeichnung oder eben einem ganzen Film ist, sondern was jede Linie, jeder Punkt, jeder Rhythmuswechsel und überhaupt alles formal Beschreibbare in der Beziehung zu allen anderen Elementen des Kunstwerks ausmacht. Das klingt für Filme schwierig, ist es aber nicht.
Mit Blick auf Körper und Seele gilt es nun, noch einmal die Kurve in diesem kunsttheoretischen Exkurs zu bekommen: Die Bilder aus dem Schlachthaus von Budapest sind echt, nichts anderes als unser realer Umgang mit dem “Produkt” Tier; die Bilder der Hirsche und Hirschkühe gehören einem anderen Register an. Sie gehören auch eher Mária und Endre als uns. Sie sind, so ist auch der Titel der Klee-Skizze, Traumhaftes. Dennoch verobjektivieren wir sie im Kino, so wie wir hier versuchen alles zu objektivieren, ohne aber je unserem eigenem Unbewussten zu entkommen.