Dauernd dieses irre Lachen. Dabei fällt die Entscheidung gar nicht leicht, ob Joaquin Phoenix als Arthur, der Noch-nicht-Joker, vielleicht doch ein Quantum Humor besitzt oder nur immer kränker wird. Er selbst stellt sich die Frage so: Is it just me, or is it getting crazier out there? Die Reflektion weist den Weg in eine Gesellschaft, in der nicht bloß die Müllabfuhr streikt, sondern alle Normen und Werte in Frage stehen.
Ein guter Einfall, die alte Superheldensaga von ihrem Protagonisten Bruce Wayne alias Batman zu befreien und damit von jedem Schwarzweißschema: Arthur spielt als Clown auf einer Kinderstation im Krankenhaus, ehe er in der U-Bahn mit gewaltsamen Mitteln, doch immerhin noch in einer Art Notwehr, für Gerechtigkeit sorgt. Er ist dem einsamen Travis Bickle aus Taxi Driver in diesem Moment näher als seinen Vorgängern, die bereits asoziale, von Grund auf böse Joker waren. Dafür wechselt Robert de Niro, der vormalige Taxifahrer, der mit dem Abschaum auf New Yorks Straßen aufräumen wollte, im neuen Joker die Seite. Als Talk Show Host und Meinungsmacher ist er zunächst sogar so etwas wie ein Vorbild für den ersten Joker, der eine Idee von sozialer und politischer Verantwortung hat. Das ändert sich. Und der opportunistische Fernsehmann wird für seinen Opportunismus teuer bezahlen.
Mit dem Prequel ist die Saga erwachsen geworden, ein kluger Schachzug der Warner Brothers für die Millionen von Zuschauern, deren Weltbild heute über die Komplexität von Comics hinausreicht, die aber mit Marvel und DC aufgewachsen sind. Tragödie oder Komödie – das fragt sich Arthur tatsächlich, ehe er seine Mutter im Krankenhaus mit einem Kissen erstickt. Kurz zuvor hatte er erfahren, was ihm als Kind alles angetan wurde. Doch nichts ist wirklich ernst, bevor es öffentlich ernst ist, das heißt: bevor es in den Medien landet. Nicht für diese Tötung, sondern für seine U-Bahn-Tat wird Arthur verhört. Dafür wird er dann auch zum Idol einer ganzen Bewegung. Wieder eine gute Idee: die überall aufpoppenden Querdenker – Kapitolsstürmer, Coronaleugner – als Gruppe zum Thema zu machen. In Joker sind die Querdenker sich zusammenrottende, gefährliche Clowns. Aus den Versatzstücken der Batman-Saga macht der Regisseur, der sich einen Namen mit der Hangover-Trilogie gemacht hat, eine seriöses Drama, dem die zeitgenössisch-politische Komponente nicht fehlt.
Am Ende ist die Frage, wie das Individuum Arthur mit seinem zweifelhaften Ruhm umgeht, welche Konsequenzen er für sich zieht. I’ve been a puppet, a pauper, a pirate / a poet, a pawn and a king. / I’ve been up and down and over and out / and I know one thing / Each time I find myself flat on my face / I pick myself up and get back in the race singt Sinatra. Der Clown tanzt dazu. Wenig später muss sich Arthur entscheiden, welchen Weg er in the race weiter geht. Seine ehemaligen Arbeitskollegen, der kleinwüchsige Gary und der massive Randall, besuchen ihn, um vor einer unbedachten Aussage zu warnen. Ohne Ansage sticht Arthur auf Randall ein. Gary lässt er laufen – die Prise Menschlichkeit, die er wiederholt zeigt. Es folgt eine Tanzszene auf einer städtischen Treppe; Phoenix ist am besten, wenn er als Clown körperlich agiert, gestisch, pantomimisch, tanzend, die Glieder ausschleudernd; auf der Tonspur sagt eine starke 70er Nummer an, was jetzt Programm wird: Rock’n Roll. In diesem Moment ist der Film ganz bei sich – Beat und Rhythmus, Beschleunigung, momentaner Halt, neuer Impuls; und der Joker ist damit auf dem Weg zum Star einer aus den Fugen gehenden Welt.
Lange bewahrt die Stadt, unverkennbar New York City im Gewand des fiktiven Gotham, die melancholische Gestalt, wie man sie von Bildern Edward Hoppers kennt – unveränderlich, unverkennbar. Unveränderlich bis zu dem Moment, in dem sich der künftige Joker zu wehren beginnt. Eine anderer Joker, Jack Nicholson in Batman (1989), sucht mit seinen Kumpanen das Gotham Museum auf. In einer ähnlich irren Choreographie, diesmal zu Prince, werden dort malerische Ikonen wie Rembrandt, Vermeer und Degas zerstört. Einem Hopper, Train approaching a City, sprüht der Joker seine Signatur auf: Joker was here. Er ruiniert damit nicht nur ein Merkbild des Gefühls, in einer Metropole zu leben, sondern auch ein filmisches Bild noch ohne Film. Ihm ist gar nichts heilig.