FILMTIPP #54: JOKER VON TODD PHILIPPS (USA 2019).

Bildquelle: batmanprojekt.com

Dauernd dieses irre Lachen. Dabei fällt die Entscheidung gar nicht leicht, ob Joa­quin Phoenix als Arthur, der Noch-nicht-Joker, vielleicht doch ein Quantum Hu­mor besitzt oder nur immer kränker wird. Er selbst stellt sich die Frage so: Is it just me, or is it getting crazier out there? Die Reflektion weist den Weg in eine Gesellschaft, in der nicht bloß die Müllabfuhr streikt, sondern alle Normen und Werte in Frage stehen.

Ein guter Einfall, die alte Superheldensaga von ihrem Protago­ni­sten Bru­ce Wayne alias Batman zu befreien und da­mit von jedem Schwarz­weiß­schema: Arthur spielt als Clown auf ei­ner Kin­derstation im Kran­kenhaus, ehe er in der U-Bahn mit gewaltsamen Mitteln, doch immerhin noch in einer Art Notwehr, für Ge­rechtigkeit sorgt. Er ist dem ein­samen Travis Bickle aus Taxi Dri­ver in diesem Moment näher als seinen Vor­gängern, die bereits aso­zia­le, von Grund auf böse Jo­ker waren. Da­für wech­selt Robert de Niro, der vormalige Taxifahrer, der mit dem Ab­schaum auf New Yorks Straßen aufräumen wollte, im neuen Joker die Seite. Als Talk Show Host und Meinungsmacher ist er zu­nächst so­gar so etwas wie ein Vor­bild für den ersten Joker, der eine Idee von so­zialer und po­li­ti­scher Ver­ant­wor­tung hat. Das ändert sich. Und der op­por­tu­ni­sti­sche Fernseh­mann wird für seinen Opportunismus teuer bezahlen.

Mit dem Prequel ist die Saga erwachsen geworden, ein kluger Schach­zug der War­ner Brothers für die Millionen von Zuschauern, deren Welt­bild heute über die Komplexität von Comics hinausreicht, die aber mit Mar­vel und DC aufgewachsen sind. Tragödie oder Komödie – das fragt sich Arthur tatsächlich, ehe er seine Mutter im Krankenhaus mit einem Kissen er­stickt. Kurz zuvor hatte er er­fahren, was ihm als Kind alles an­getan wurde. Doch nichts ist wirklich ernst, be­vor es öffentlich ernst ist, das heißt: bevor es in den Medien landet. Nicht für diese Tö­tung, son­dern für seine U-Bahn-Tat wird Arthur verhört. Dafür wird er dann auch zum Idol einer ganzen Bewegung. Wieder eine gute Idee: die über­all auf­pop­penden Querdenker – Kapi­tols­stür­mer, Co­ro­na­leugner – als Gruppe zum Thema zu ma­chen. In Joker sind die Quer­den­ker sich zusammenrottende, gefährliche Clowns. Aus den Ver­satz­stücken der Bat­man-Saga macht der Regisseur, der sich einen Na­men mit der Hang­over-Trilogie gemacht hat, eine seriöses Drama, dem die zeitge­nös­sisch-po­li­tische Komponente nicht fehlt.


Am Ende ist die Frage, wie das Individuum Arthur mit seinem zweifel­haften Ruhm umgeht, welche Konsequenzen er für sich zieht. I’ve been a puppet, a pauper, a pirate / a poet, a pawn and a king. / I’ve been up and down and over and out / and I know one thing / Each time I find myself flat on my face / I pick myself up and get back in the race singt Sinatra. Der Clown tanzt dazu. Wenig später muss sich Arthur ent­schei­den, welchen Weg er in the race weiter geht. Seine ehemaligen Ar­beits­kolle­gen, der kleinwüchsige Gary und der massive Randall, besu­chen ihn, um vor einer unbedachten Aussage zu warnen. Ohne Ansage sticht Arthur auf Randall ein. Gary lässt er laufen – die Prise Mensch­lich­keit, die er wiederholt zeigt. Es folgt eine Tanzs­zene auf einer städtischen Treppe; Phoenix ist am besten, wenn er als Clown körperlich agiert, ge­stisch, panto­mi­misch, tanzend, die Glieder aus­schleu­dernd; auf der Ton­spur sagt eine starke 70er Num­mer an, was jetzt Pro­gramm wird: Rock’n Roll. In diesem Moment ist der Film ganz bei sich – Beat und Rhyth­mus, Beschleu­nigung, momentaner Halt, neuer Impuls; und der Joker ist damit auf dem Weg zum Star einer aus den Fugen gehenden Welt.

Lange bewahrt die Stadt, unverkennbar New York City im Gewand des fiktiven Gotham, die melancholische Gestalt, wie man sie von Bildern Edward Hoppers kennt – unveränderlich, unverkennbar. Unveränderlich bis zu dem Moment, in dem sich der künftige Joker zu wehren beginnt. Eine anderer Joker, Jack Nicholson in Batman (1989), sucht mit seinen Kumpanen das Gotham Museum auf. In einer ähnlich irren Cho­reo­gra­phie, diesmal zu Prin­ce, werden dort malerische Ikonen wie Rembrandt, Ver­meer und Degas zer­stört. Einem Hopper, Train approa­ching a City, sprüht der Joker seine Signatur auf: Joker was here. Er rui­niert da­mit nicht nur ein Merkbild des Gefühls, in einer Metropole zu leben, son­dern auch ein filmi­sches Bild noch ohne Film. Ihm ist gar nichts heilig.

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