Die Filme von Clint Eastwood werden seit Jahren von einem Thema dominiert: Wie verhält man sich angesichts des unausweichlichen Todes und trotzt dabei dem Leben ein Maximum an Würde ab? Das beschäftigt den ideologischen American Sniper (2014) ebenso wie den Boxtrainer von Million Dollar Baby (2004); der eine tötet Menschen auf Befehl, der andere leistet aktive Sterbehilfe. Der Held von Unforgiven (1992) ist nichts ohne seine verstorbene Frau, steigt aber für die Ehre einer anderen Frau noch einmal in den Sattel, um karitative Liebe auszuüben. Gran Torino (2008) ist eine Passionsgeschichte über die Wandlung eines amerikanischen Apostels, der, selbst bekehrt, nicht nur ein Ohr hingibt, sondern für die Mühseligen und Beladenen auch das Leben.
Auch in Mystic River spielt der Tod eine Hauptrolle. Ohne Eastwood auf der Leinwand, geht der Film dennoch tief unter die Haut. Schon die Exposition ist ein Musterbuch für eine gelingende psychologische Glaubwürdigkeit der wichtigen Figuren, dreier Freunde im Alter von elf Jahren. Die Jungs machen eine grauenhafte Erfahrung – einer aktiv, zwei passiv betroffen. Viele Jahre treffen sie sich wieder: Jimmy (Sean Penn), Vater der soeben ermordeten neunzehnjährigen Katie, und Dave (Tim Robbins), der bald dieses Mordes verdächtigt wird. Der dritte Freund ist der ermittelnde Cop Sean (Kevin Bacon). Das klingt konstruiert, aber wenn man den Film sieht, vergisst man das sorgfältige Konstrukt des Romans von Dennis Lehane. Drei Schicksale werden zu einem einzigen, grundiert vom Aufbegehren gegen die traumatische Prägung aus der Kindheit. Die Missbrauchsgeschichte vom Beginn lässt keinen der drei Ex-Freunde je wieder los.
Der Wille des Einzelnen, sein Verhältnis zum Staat wie zur Metaphysik sind die zentralen Themen der Regiearbeiten Eastwoods. Er selbst, befragt über seine entsprechenden Einstellungen, bezeichnet sich als nicht religiös. Mystic River ist aber ein Film, in dem die Frage nach Schuld und Sühne verhandelt wird wie ein religiöses Schisma, mit dem man aus der Familie und dem Freundschaftsverbund ausschert. Die katholische Kirche bzw. zwei Geistliche, die sich als Polizisten ausgeben, wird hart angegangen. Und Sean Penn verfolgt den vermeintlichen Schuldigen mit großer Dogmatik; seine kriminelle Vergangenheit macht ihn von vornherein zum Teilschuldigen, was sich dann tragisch verstärkt. Die Schuldfrage verengt sich im Laufe des Films zu Gewissensentscheidungen, die der Einzelne auch für Andere trifft. Damit bleibt ein Eastwood-Film immer ein Stück Hollywood. Doch der mystische Fluß fließt tatsächlich durch Boston, und dieser Hades ist so weltlich wie die heruntergekommene Gegend der fiktiven East Buckingham Flats, aus denen nur der Cop für das Studium herausgekommen ist. Seine misslingende Ehe, die Ereignisse der Jugend und der neue Mord holen auch ihn zurück.
Sean Penn, Kevin Bacon und Tim Robbins sind hervorragende Schauspieler. Im Kollektiv trieb sie der Regisseur zu Spitzenleistungen. Reibungslos funktionieren der Krimi-Plot und die Ermittlungen, auch dank Lawrence Fishburne, der seinen Partner immer wieder zu den Indizien zurücktreibt. Sean könnte abrutschen, seine ungeklärte familiäre Situation wiegt schwer. Auch die beiden Freunde aus der Kindheit werden über ihre Ehen charakterisiert. Hart trifft es Dave, das einstige Opfer. Er kann nicht erklären, wo er in der Mordnacht war; in der Tat hat er versucht, sich selbst durch einen Gewaltakt zu befreien. Ausflüchte helfen nicht, im Gegenteil, sie reiten ihn immer tiefer ins Verderben. Sein Los ist besiegelt, als sich auch seine Frau Celeste abwendet. Paradoxerweise führt die einzige funktionierende Ehe Jimmy, ein zorniger Mann, dem die Gesetze des Staates weniger bedeuten als Abmachungen zu Ehre und Schuld, die er selbst trifft: eine echte Eastwood-Figur. Auch sein Leid wird ausgespielt. Sean Penn ist in dieser Rolle das Kraftzentrum des Ganzen, so abstoßend wie anziehend, in einem grauenvoll schönen Film.
Traumwandlerisch trifft Eastwood die richtige Tonlage, wählt das richtige visuelle Motiv. Es gibt kaum einen klareren Film. Im Sinn der Biologischen Psychologie vertritt Clint Eastwood das Prinzip „männlich“, was die Attraktivität seiner Filme für Menschen jederlei Geschlechts steigert. Im Mai dieses Jahres ist der Mann 91 Jahre als geworden. Er war über 70, als ihm diese reife Leistung gelang.