Man stelle sich vor, Elvis Presley lebte noch, abgeschirmt in einer Villa in Las Vegas, dem jungen Elvis ähnlich, aber unansehnlich, ein Schatten vergilbten Ruhms. Bob Dylan, der am Pfingstmontag 80 Jahre alt wird, hat diesem Schicksal getrotzt. Dazu half ihm eine Taktik, die er in dem Dokumentarfilm Don’t look back (1966, D.A. Pennebaker) testete und später perfektionierte: Er war und ist immer da, doch als Signatur oder Bild seiner selbst, und nur als solches. Die Privatperson fehlt. Das ist an Filmen zu verstehen, die es mit ihm und seiner Stimme gibt.
Dylan hat sich immer als reisender song and dance man geriert, der sein Publikum einen Abend lang unterhält und mit seinen Gedanken über die Welt konfrontiert, ehe er weiter zieht. And in the morning I’ll be gone. Das Vorbild waren amerikanisierte Vaudeville-Shows, die Dylan aus Erzählungen seiner Jugend kannte. So kam es zur Never Ending Tour, die mit der Rolling Thunder Revue von 1975 begann und deren Überbleibsel man auf Netflix dokumentiert findet: Dylan, weiß geschminkt, im Kreis einer entfesselten Truppe von Musikern, Helfern, Dichtern, Freundinnen und Frauen, vor und hinter der Bühne, im Wohnmobil umherziehend. Kompiliert hat das Material Martin Scorsese, der auch für die sechseinhalbstündige, randvolle Doku No Direction Home (2005) gesorgt hat. Diese Filme zeigen einen Mann, der in der Musik sein Inneres freilegt, sonst aber unnahbar wirkt, bisweilen etwas linkisch und manchmal sogar schüchtern.
Eben diesen Part übernahm Dylan als Schauspieler in Pat Garrett & Billy the Kid (1973, Sam Peckinpah), dem Spätwestern, der das Genre einer umfassenden Revision unterzog. Viele Westerndarsteller aus besseren Tagen des Western spielen mit, die Themen werden im Licht einer neuen Zeit geprüft. Dylan ist ein scheuer Junge namens Alias, der wenig sagt und noch seltener etwas tut. Doch auch der wahre Dylan ist präsent: Der Score stammt von ihm, das eingängige, instrumentale main theme und ein wiederkehrender Song zu Billys Drama. Größere Wirkung noch hat der Song, der über den letzten Sekunden eines Menschenlebens liegt: der angeschossene, alte Sheriff am Fluss, dem seine Frau weinend beim Sterben zusieht. Knockin’ on heaven’s door. Die Frau ist übrigens Kathy Jurado, die schöne Vorgängerin von Grace Kelly in High Noon.
Noch weiter weg, ohne das Bild des leibhaftigen Dylan und ohne seine Stimme, funktioniert das Biopic mit dem programmatischen Titel I’m not there (2007, Todd Haynes). In seinen besten Momenten kommt es der dylanschen Essenz ziemlich nahe. Etwa zu den Klängen von Ballad of a thin man: da steht ein Mann am Pissoir, der gleich einen Aufzug voll mit Menschen betritt, sich in einem Vogelkäfig auf einer Bühne eingeschlossen findet und schließlich zusieht, wie Albert Grossman, Dylans Manager, massiert wird. Dylans dazu gesungene Worte sind so entfremdet wie die Bilder entfernt von einer einsehbaren Story. Und sie sprechen weniger aus ihm selbst als aus der Künstlerpersona, die sich öffentlich darbietet. Der Mann nimmt sich nun als etwas anderes wahr, so wie der Normalbürger über eine Fotografie staunt, auf der er sich nicht erkennt. Oder wie das Insekt in Kafkas Erzählung “Die Verwandlung”: Der eigentliche Formenwandler ist nicht mehr die Familie, wie bei Kafka, oder der Betroffene selbst, sondern der Mechanismus des Erfolgs in einer medialen Welt, der sich immer weiter potenziert.
Cate Blanchett spielte diesen Dylan. Dafür erhielt sie einen Oscar als beste Nebendarstellerin. Wem, wenn nicht der Dylanpersona, würde eine Hauptrolle in einem Musiker-Biopic zukommen? Blanchett spielt die Rolle Dylan, wie sie der echte Dylan in wahren Leben spielt. Zehn Jahre lang, hat Klaus Theweleit herausgearbeitet, hatte er vorher andere Rollen ausprobiert und auf den Hüllen seiner Platten bildlich dokumentiert: als Hobo, als neuer James Dean, als surrealistischer Dichter, als einfacher Mann, der auf dem Land und in der Natur leben will etc.
Auch Dylans Stimme ist Bild geworden, ein Merkbild für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, so wie andere für die erste. Was man immer erst später erkennt. “’Lassen Sie mal irgend jemanden, der 1926 geboren ist, einen Samstagabend im Jahr 1998 zu Hause verbringen und Dick Haymes mit Those White Little Lies hören’, sagte er. ‘Dann kann er mir nachher sagen, ob er vielleicht endlich die berühmte Lehre von der kathartischen Wirkung der griechischen Tragödie begriffen hat.’” (Philipp Roth, Der menschliche Makel.)