Baby Driver steckt voller Musik. Die Story begründet das mit der Tinnitus-Erkrankung von Miles, genannt Baby (Ansel Elgort), die er durch den dauernden Gebrauch seines I-pods überspielt. Dass das medizinisch wirklich sinnvoll sein kann, interessiert den Film nicht; dafür gewinnt er eine musikalische Struktur, gebildet durch 30 Songs, die teils an-, teils ganz ausgespielt werden. So entsteht ein Gerüst, nach dem sich Plot, Rhythmus, die Atmosphäre aller Binnenteile und das Tempo des Gesamtfilms richten. Mitautoren oder zumindest Mit-Komponisten werden auf diese Weise, neben anderen, Bob und Earl mit dem „Harlem Shuffle“, die Beach Boys, das Dave Brubeck Quartett, die Commodores, T. Rex, Beck, Carla Thomas mit B-A-B-Y, Alexis Korner‘s Blues Incorporated, Martha and the Vandellas, Sam & Dave, Blur, Golden Earring, Young MC, Simon and Garfunkel sowie, für eine exquisite Action-Sequenz im Film, die holländische Band Focus mit der extended version ihres Hits „Hocus pocus“ (von der 1971er LP Live at the Rainbow).
Baby hat zwei große Talente: Er kann hervorragend Auto fahren, und er komponiert oder sampelt Geräusche zu Tapes, die er hütet wie einen Schatz. Mit beiden Aktivitäten, das wird im Lauf der Story klar, bekämpft Baby ein Trauma seiner Kindheit; und sie machen ihn besonders. Seine soziale Aufmerksamkeit bekommen zwei Menschen ab, um die sich Baby kümmert, der taube Stiefvater, den er versorgt, auch, als die Dinge sich zuspitzen, und natürlich eine Frau: Debora (Lily James), das all-american-Girl aus dem Diner, in das Baby sich verliebt, weil Debbie so natürlich ist, weil sie die gleiche Musik hört wie er, weil mit ihr die romantische Flucht aus dem Alltag möglich wird… mit einem Auto, das man sich nicht leisten kann, mit einem Plan, den man nicht hat.
Das klingt nach Klischee, das der Film am Ende dann auch reichlich bedient: augenzwinkernd selbstverständlich, so wie er zuvor den tatsächlich leicht babyhaften Protagonisten gegen die ganz harten Jungs (und ein Mädel) hat agieren lassen. Baby ist lange Teil einer erfolgreichen Zweckgemeinschaft von Kriminellen unter der Führung des toughen Doc (Kevin Spacey), der all die Hold-ups inszeniert und kontrolliert, bei der Ausführung aber selbst nicht mitmacht. Er hätte annähernd die Chance, gegen Baby anzukommen, während die toughen Männer gegen den vermeintlichen Underdog wie Staffage wirken, wie verfallene Restbestände aus dem Genre Heist Movie, Brüder im Geiste der Antihelden von Tarantino, Walter Hill, Niklas Winding Refn oder auch, in ihrer verqueren Gangsterromantik, Reminiszenzen an A Fish called Wanda. All diese Seherfahrungen nimmt Baby Driver auf. Und doch er wendet sich gegen die Anmutung, ein Genrefilm zu sein, indem er Genres wild gegeneinander ausspielt: Fluchtfahrerfilm gegen Farce, Melodram gegen musikalische Komödie. Immer behält der Wille zur originellen Form Oberhand gegenüber kulturellen Rastern.
Es hat Edgar Wright sicher geholfen, seine Sporen im Genre Komödie verdient zu haben, mit parodistisch angelegten Filmen wie Shaun of the Dead oder Hot Fuzz. Oberstes Gut einer Komödie, will sie sich nicht – wie viele andere Beispiele belegen – auf reinen Wortwitz verlassen, ist Genauigkeit im Timing. Erst dann entsteht visual comedy. Die Meister jener filmischen Tugend sind und bleiben Buster Keaton, Charlie Chaplin und Jacques Tati; bei ihnen kommen Sprache, kommen Töne und auch Musik mit ihrem zur kognitiven Dominanz neigenden Ausdruck dem filmischen Bild tatsächlich selten in die Quere. Eine Gattung, an die es unbedingt zu denken gilt, will man die Qualitäten von Baby Driver würdigen, ist das Musikvideo. Wie ein solches funktioniert gleich die erste Sequenz des Films, ein Banküberall mit anschließender Fluchtfahrt. Der leuchtend rote Subaru WRX, den Baby virtuos durch Atlanta lenkt, verliert zunehmend an materieller Gestalt; er wird zur Orientierungseinheit, zum Farbfleck, an dem sich dingliche Wahrnehmung allein noch festhalten kann in Orgien aus Bewegung & Turbulenz, organisierender Musik und retardiertem Handlungsfortgang.
Das Einzigartige an Baby Driver ist die Konstruktion, die sich zusammensetzt aus einem gemachten Bett voller wohliger, nostalgischer, aufrührender oder ikonischer Musik – oft Rhythm & Soul – und einer supergenauen Inszenierung, die herausragend sensibel auf die Musik reagiert. Was den Genuss am Bild betrifft: Zu kaum einem anderen Film gibt es ähnlich viele visual essays im Netz.