Wozu Filme alles gut sind: Mit Oliver Haffners Ein Geschenk der Götter lässt sich unter anderem die Kenntnis eines Oberstufen-Klassikers auffrischen. Der Film handelt in der Hauptsache von einer Einübung der Antigone, dem Stück des griechischen Tragöden Sophokles aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Das Stück wird öffentlich immer dann gespielt oder zitiert, wenn die Haltung “Wo das Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht” gefragt ist. Von wem der Satz stammt, ist nicht recht herauszufinden, der Name Brecht wird öfters genannt. Ich erinnere mich an die ambitionierte Episode in Deutschland im Herbst (1977), in der Angela Winkler die Antigone außerordentlich ernsthaft und ein wenig verspannt interpretierte.
Ernsthaft und angestrengt, dass ist so ziemlich genau das Gegenteil des Eindrucks, den man beim Sehen von Haffners Film bekommt. Das F!F-Publikum war jedenfalls begeistert und spendete minutenlangen Applaus für eine Tragödie, die zur Komödie wird – und mit der Arbeitslosigkeit doch ein ernstes Thema im Deutschland des Jahres 2014 verhandelt. Erst einmal geht es um die Schauspielerin Anna (Katharina Marie Schubert), die ihren Job in einem Stadttheater der Provinz verliert (gedreht wurde, auch wegen der Förderung, in Ulm). Von der Theaterrampe ins Jobcenter – Anna lässt, trotz vielerlei Widerständen und Hemmnissen, den Mut nicht sausen und initiiert mit Hilfe einer theaterbegeisterten Arbeitsvermittlerin selbst ein Ensemble, das sie mit den einschlägigen gelben reclam-Heftchen ausstattet: Unter der Antigone soll es eben nicht sein. Die Schauspieler-Truppe besteht allerdings aus acht Langzeitarbeitslosen, von denen jede/r auf seine Weise das Stigma “Schwer vermittelbar” trägt. Damit sind die Voraussetzungen für einen Ensemblefilm aus Deutschland gegeben, wie man ihn lange nicht gesehen hat.
Es ist eine große Idee, die zur Struktur führt: die unterschiedlichen Typen, die das Leben gebeutelt hat, den Idealtypen der klassischen Tragödie anzupassen, den alternden Handwerker ebenso wie die überforderte Mutter zweier Mädchen, den zynischen Intellekuellen und den antriebslosen jungen Mann, der seine Leseschwäche nicht mehr verdecken kann, und andere. Es gibt auch einen Star; zumindest hält er sich selbst dafür, der gebürtige Grieche Dimitri, ein sympathischer Selbstdarsteller, der gern über Würde und Stolz schwadroniert und Anna trotzdem irgendwie für sich einnimmt. F!F-BesucherInnen kannten Adam Bousdoukos schon aus Fatih Akins Feelgood-Komödie Soul Kitchen. Die Rolle des verhinderten Meisterkochs schreibt Bousdoukos hier fort, findet dazu eine neue Facette in dem selbstherrlichen, autokratischen König Kreon. Die Krone wird zu Dimitris wichtigstem Accessoire.
Gruppendynamik, Reibung, Handgreiflichkeiten gar, all das ist mit diesem Ensemble vorprogrammiert. Trotz allem rauft sich die Truppe irgendwie zusammen und schafft es bis zu einer öffentlichen Aufführung. Welche Disaster sie bis zum diesem Punkt und darüber hinaus erwarten, sei hier nicht ausgeplaudert, aber auf ein Detail muss ich eingehen. Auf der Bühne des Stadttheaters steht am Ende der Palast des Königs Kreon, behelfsmäßig zusammengenagelt aus Dachlatten, das Werk eines erfahrenen Schreiners im Ensemble.
Als wir unser improvisiertes Kino auf dem Werksgelände von Boehringer Ingelheim betraten, war die Bühne entsprechend präpariert: Auf Veranlassung unserer Event-Managerin hatten die Veranstaltungstechniker die Ruine des Palastes von Kreon, so wie sie als Bild im Film vorkommt, auf die Vorbühne drapiert. Darüber staunte nicht nur unser Publikum nicht schlecht, sondern auch unsere beiden Gäste. Der Regisseur Oliver Haffner und der Produzent Ingo Fließ freuten sich mit uns auch an dem zum Kino umfunktionierten Boehringer Congress Center: perfekt in der Technik, im Catering, sogar mit aufsteigender Bestuhlung. Dieses ungewöhnlichste Kino im Land Rheinland-Pfalz durften die Freunde Ingelheimer Filmkultur in den letzten Jahren mehrmals nutzen.