Werner Herzog hat einen bevorzugten Protagonisten: den Mann, der sich zu Höherem berufen fühlt und dabei einem inneren Dämon folgt. Das begann mit dem Debüt Lebenszeichen (1967) und hatte ein Hochplateau in den fünf Filmen, die Herzog mit Klaus Kinski zwischen 1972 und 1987 realisierte. Als Nachklapp, als Hommage an den 1991 verstorbenen Kinski lieferte Herzog noch das vielsagende Porträt Mein liebster Feind (1999). Dieser Film eröffnete auch dem F!F-Publikum den Blick auf einen Schauspieler, der genau als solcher eher limitiert war, der nicht so viel mehr konnte als das, was er dauernd tat und was er wiederum konnte wie kein anderer: Sein Anderssein möglichst offensiv bis agressiv zu demonstrieren. Kinski ist am Ende wohl weniger als Individuum zu werten denn als ein Phänomen der deutschen Geschichte: ein verletzter, verlorener, bis zuletzt unversöhnt gebliebener Sohn. Grizzly Man, das Porträt eines Bärenfanatikers, setzt die beschriebene Wahl des typischen Herzog-Protagonisten nahtlos fort und hat dazu eine dokumentarische Basis.
Die Geschichte hat sich wirklich zugetragen. Medientheoretisch ausgesprochen, gab es die Referenz dieser Bilder in der Realität. Das ist nicht unwichtig, weil Herzog diese Realität sehr filmisch erweitert. Daran ist ein Geheimnis des Filmischen an sich zu verstehen.- Zur Geschichte: Timothy Treadwell, Typ kalifornischer Sunnyboy, öfters schon gescheitert, fährt 13 Sommer jeweils für vier Monate nach Alaska, um eine Population dort lebender Grizzlybären zu “beschützen”. Am Ende der letzten Saison, am 5. Oktober 2003, wird Treadwell zusammen mit seiner Gefährtin Amy Huguenard von einem Bären getötet; die Leichen werden teils gefressen. Herzog begann die Aufarbeitung dieser Tragödie anhand des Videomaterials, das der Bärenmann hinterließ, und fügte Interviews und Rekonstruktionen hinzu. Das Gesamtverhältnis des Materials ist etwa 58% Anteil Treadwell, 38% Herzog, 4% TV-Material. Damit ergibt sich eine aufschlussreiche Differenzierung, die zu generalisieren ist: die psychologische Motivation des Protagonisten (ob „dokumentarisch“ oder erfunden, macht am Ende keinen Unterschied), die künstlerische Legitimation des Filmemachers, das oft sensationsheischende Interesse des breiten Publikums.
Es ist leicht, Treadwells Behauptung, die Tiere zu schützen, als verzweifelten Ruf nach Anerkennung zu deuten, und schwieriger, Herzogs Handhabung des Materials von Treadwell zu bewerten. Der Regisseur tritt seriös auf als Interviewer, er besucht Eltern und Freundinnen und verlässt so den Pfad des Deuters mytischer oder skurriler Welten, den er in seinen dokumentarischen Essays wie kaum ein zweiter Filmemacher ausgetreten hat. Doch schon die bajuwarisch-raunende Tonalität seiner Stimme weist in eine andere Richtung. Auch kann er manchen Trick nicht lassen. So im Gespräch mit einer Freundin Treadwells: Herzog überreicht ihr die Kassette mit dem angeblichen Soundtrack der letzten Minuten des Bärenschützers. Er nimmt ihr das Versprechen ab, die Kassette nie jemand anders hören zu lassen. Was darauf zu hören ist, erfahren wir nicht. Das setzt natürlich die tollsten Phantasien frei.
Ein Film, der polarisiert – nicht zuletzt die F!F-Zuschauer. Einige haben den improvisierten Kinosaal von Grizzly Man vorzeitig verlassen, nicht nur, weil es im Herbst in der leergeräumten Halle einer Ingelheimer Zimmerei recht kühl war. Unmut zog auch der Protagonist auf sich, ein eher bemitleidenswerter Sinnsucher, doch auch eine amerikanische Medienfigur, die sich in den Vordergrund schiebt, koste es, was es wolle, und sei es das eigene Leben. Insofern hat Treadwell postum bekommen, was er anstrebte. Komplizierter ist es mit Herzogs Antrieb, der am Ende des Films Aufnahmen des mutmaßlichen „Mörders“ präsentiert und angesichts des ausgehungerten Bären von einem leeren Blick spricht: „Kein Verstehen, keine Gnade, nur die überwältigende Gleichgültigkeit der Natur.“ Herzogs Credo, an anderer Stelle aufgezeichnet: „Ich liebe diese Schöpfung wider mein besseres Wissen.“ Noch ein Zitat: „Film ist anders als das ordinäre Leben. In gewissen Momenten, glaube ich, kennt der Film keine Gnade. Es darf keine Gnade geben.“