Ein gelungener F!F-Abend: Wir zeigen Soul Kitchen (2009) von Fatih Akin, eine Feelgood-Komödie über ein Restaurant in Hamburg-Wilhelmsburg, das von echten Typen betrieben wird. Eine sichere Sache: Getränke und Speisen im malerischen Hof des Weinguts, mit dem wir freundschaftlich kooperieren, ein oder zwei Gläser Wein und gute Gespräche vor dem Heimgehen.
Auffällig oft hört man in Soul Kitchen die Melodie von “La Paloma Ade”; unter diesem Titel ist das Lied wohl am bekanntesten. Warum die Verbindung zu Hamburg? Die ist dem säkularen Stadtheiligen Hans Albers zu verdanken, der in Helmut Käutners Große Freiheit Nr. 7 (1944) die Zeile “Auf, Matrosen, ohé, einmal muß es vorbei sein” sang, eine Hoffnung, die in Deutschland damals überall verstanden wurde, auch von Dr. Joseph Goebbels, der den in mehrerer Hinsicht subversiven Film auf der Stelle verbieten ließ.
Albers gab dem Lied etwas Brechendes, eine Aussicht auf die Zukunft, die es nicht geben kann; der Blues des endgültigen Abschieds. Das Lied hatte 1934 von Charles Kullmann anders geklungen, in dem Tonfilm La Paloma: voller gefühlter Vorfreude auf Exotisches. An diese Variante schloss Rudi Schuricke 1943 an. Mitten im Krieg bekam die Sehnsucht der Deutschen einen Ort, zu dem (in bescheidenen Mengen) erstmals Touristen aufbrachen: Italien, das Land, “wo die Zitronen blühen”. Die Deutschen kamen weniger auf den Spuren von Goethes Antikensuche denn auf Kraft durch Freude-Dampfern und fuhren, wie in den 50er Jahren dann vielfach vermehrt, nach Venedig und an den Gardasee, nach Rom und nach Capri zur blauen Grotte; unter dem Titel „Die Caprifischer“ wurde „La Paloma“ ab 1946 ein deutscher Hit. „Wenn bei Capri…“, oder, als Italien zwischendurch nicht ganz so beliebt war, „Wenn rot wie Rubin die Sonne im Meer versinkt“, das Bild besangen ab den 50ern u.a. Freddy Quinn (auch im Film), Caterina Valente, Vico Torriani, Peter Kraus, Paola, Mireille Matthieu und Karel Gott. Ein filmisches Remake von La Paloma gab es 1959. Wie sein Vorgänger ist der Film wohl zu Recht vergessen.
Vergessen ist auch, dass der Song ursprünglich mit Italien nichts zu tun hatte. „La Paloma“ ist eine Habanera, ein Tanz mit afro-kubanischen Wurzeln. Mit dem Tango verwandt, wurde die Habanera im frühen 19. Jahrhundert über Spanien in Europa heimisch, als langsames, im Zweivierteltakt vorgetragenes Wiegenlied. Einen Film mit dem Titel La Habanera hatte es 1937 gegeben, inszeniert von Detlef Sierck, als Douglas Sirk dann ein Meister des Hollywood-Melodrams. In seinem Film erfüllt mal wieder eine Exotin deutsche Sehnsüchte: Zarah Leander verliebt sich in den falschen Mann, einen puertoricanischen Großgrundbesitzer, der sie und den Sohn hartherzig behandelt. Nach Jahren trifft ein Jugendfreund und Arzt auf der Insel ein: ein gefährliches Fieber ist ausgebrochen. Für ihn singt Leander Der Wind hat mir ein Lied erzählt. Der böse Gatte stirbt. Der neue Mann führt Frau & Sohn heim ins Reich.
Wie die meisten Diven des Dritten Reiches war die Schwedin Leander ganz anders als das deutsche Mädel oder die deutsche Mutter. Für das Gros der Volksgenossen blieb eine solche Frau unerreichbar, ein Objekt der Sehnsucht, der Seh-Sucht – geschaffen fürs Kino. Ähnlich verhält es sich mit unserem Schlager, der ein unerreichbares Objekt beschreibt, nur im Imaginären zu haben und nur dann, wenn man es hört. Dass es ab den 50er Jahren dann wieder möglich wurde, nach Italien zu fahren, eröffnet ein neues Kapitel. Nun beginnt die scheinbar individuelle, de facto massentouristische Übernahme mit all den Stereotypen, Postkartenmotiven, Souveniers. All das gab es dann auch im Kino: klare Geographien & Grenzen, definierte Klischees; die einen, die zahlen und genießen; die anderen, dem Anschein nach lebenslustig und frei.
Und eben den Song, der sich durch die Zeiten windet wie kaum ein zweiter; die Melodie bleibt gleich, das Lied wird nur ganz unterschiedlich genutzt. Es unterliegt keinem Formen-, sondern einem Funktionswandel: Wie sein Ursprung, die Taube, die im Christentum als Heiliger Geist über die Menschen kommt, im 20. Jahrhundert zur säkularen Friedenstaube wird, als solche das Woodstock-Logo ziert und in der zweiten Jahrhunderthälfte flächendeckend für die medial ausgelebte Idee der Sehnsucht nach „dem Süden“ steht.
Es ist ja auch eine schöne Melodie. Sie gibt einem Gefühle von Weite und Freiheit, Gefühle, die Bilder nahelegen. Und sie ist ein Ohrwurm. Man würde sie seinem Gehörgang gerne versperren, gäbe es nicht diese sechs CDs aus dem Trikont-Verlag mit 150 Versionen „La Palomas“ von schrägen Blasorchestern, Jazzern und vielen anderen. Die kann man immer wieder hören.