Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg von Braucich-Job ist dieser Tage in ihrem vierundneunzigsten Lebensjahr in Rom gestorben. Kurzer Check bei Amazon prime: dort gibt es einen Film von Lina Wertmüller zu sehen, Film d’amore e d’anarchia/Liebe und Anarchie von 1973, der hier allerdings als aus dem Jahr 2017 stammend geführt wird. Netflix zeigt nicht viel mehr Ahnung: Ohne Aufpreis zu sehen gibt es da nur einen frühen Fernsehfilm der Wertmüller mit Rita Pavone in der Titelrolle. Selbst beim nichtkommerziellen Streamingdienst MUBI ist die Situation nicht besser. Das verwundert, denn Frau Wertmüller könnte mit ihren Themen durchaus ein Geheimtipp für private Filmabende mit einer gewissen Exzentrik sein.
Ihre Stilmittel, das versinnbildlicht schon der Name der italienischen Regisseurin (die keine mediterrane Italienerin war, sondern sich dem mitteleuropäisch kultivierten k.u.k.-Regime zugehörig fühlte), waren Persiflage, Übertreibung und Exzess. Das wird wiederum deutlich an Filmtiteln wie Sotto… sotto… strapazzato da anomale passione (1984), lange mein Lieblingsfilm der Wertmüller, vor allem wegen seiner Schauplätze: selten hat man Rom so normal gesehen, das mythische Rom der kleinen Leute wie des Tischlers Oscar, dessen Frau sich verliebt hat – in wen, will sie erst einmal nicht sagen. Oscar rast vor Eifersucht (und Sorge vor dem Alleinsein), wie es sich gehört; über die Maßen tickt er aber erst aus, als er erfährt, dass er von einer Frau “die Hörner aufgesetzt” bekommt. Die neue Liebe und das Thema der lesbischen Liebe begannen im legendären Park von Bomarzo, der Villa dei Mostri, und man muss Lina Wertmüller allein dafür dankbar sein, dass und wie sie diesen verzauberten Ort auf die Karte der Weltkinematographie gehoben hat.
Dass es Männer und Frauen nur unter Reibung und in der Regel großem Geschrei miteinander aushalten, ist in allen Filmen der Wertmüller der Chip, der das Geschehen zum Laufen bringt. Für uns Deutsche besonders interessant war Pasqualino Settebellezze (1975), die Lebensreise eines kleinen napolitanischen Gangsters, der andauernd einen Platz im System sucht. Auf seiner Lebensreise, die im Faschismus beginnt, landet Pasqualino schließlich in einem KZ. Dort bekommt er es mit einer sehr, sehr dicken SS-Aufseherin zu tun, und sie versucht er mit all seinem schmierigen Gigolo-Schmalz tatsächlich zu verführen. Giannicarlo Giannini ist hier ganz in seinem Element, er, der fast alle Männer und damit immer den gleichen Mann bei Wertmüller gespielt hat – den wachsweichen Macho mit den treuen Hundeaugen. Solche Widersprüche gilt es bei Wertmüller auszuhalten.
Das wiederum zeigt das Paar Giannini und Mariangela Melato in Travolti da un Insolito Destino nell Azzuro Mare d’Agosto (1974), der auf Englisch schlicht Swept Away hieß. Weggeschwemmt werden eine Dame aus der mailänder Schickeria, die mit ihren Freunden auf einer Luxusyacht eingeführt wird, und ihr Angestellter, ein Matrose – weggeschwemmt auf eine einsame Insel, wo sich die Machtverhältnisse umgekehren. Denn der Matrose ist Sizilianer und Kommunist und fühlt sich zum Rächer all des Unrechts berufen, das seiner Klasse durch die Herrschenden widerfahren sei, während die Diva ihr Unterworfenwerden, nach anfänglichen Kämpfen, offensichtlich genießt.
Das schließt die sexuelle Ebene ein; schwer auszuhalten ist dabei vor allem, wie auch in Pasqualino, dass die Wertmüller immer zur Form der Groteske greift, so ernst ein Geschehen auch daherkommt, nie die eine Sicht der Dinge gegen die andere ausspielt, sondern selbst die Dialektik, die heilige Kuh der philosophischen Neuzeit, ins Lächerliche zieht. Was wiederum der Anlass sein könnte für einen schönen F!F-Abend zum Beispiel mit Swept Away; hier könnte man den Film mit Lust – und Lust zum Widerspruch – diskutieren; dass das Thema Klischees und Rollenverhalten zwischen Männern und Frauen außer Mode kommt, ist nicht zu erwarten.
Beeindruckende Worte lese ich zu dieser schieren Möglichkeit in einem Social-Media-Beitrag des Dramaturgen und Drehbuchratgebers Roland Zag aus München: “Das Verlangen, durch Live-Performances oder eben auch durch das Kino so etwas wie einen kollektiven Sinn zu suchen, könnte nach der Pandemie (falls ein solches wirklich kommt) stark nachgelassen haben. Möglicherweise kommt der Kultur, und mit ihr auch dem Kino, die Kraft des Kollektiven abhanden. Das bedeutet nicht nur, dass das Verlangen nach Gemeinsamkeit schwindet, sondern auch die Idee durch Film(-Kunst) so etwas wie ‘Sinn’ im altgriechischen Sinn zu erfahren. Wie und wo dann eine Filmkunst, die diesen Namen noch verdient, ihren Platz finden könnte, bleibt gegenwärtig offen. Bei den jetzt gegenwärtigen Streamingdiensten ist dieser Platz wohl eher nicht zu finden.”