Am liebsten sehe er Filme, schreibt der Kulturwissenschaftler Thomas Macho auf eine Frage der Frankfurter Allgemeinen, und zwar “Filme, lieber sogar als Bilder, wofür ich mich bei allen kunsthistorisch gebildeten Personen entschuldige.” Professor Macho hat es wohl nicht so gemeint, aber in seiner Aussage steckt die Annahme, dass Film ja eigentlich keine echte Kunst seien und dass man sich bei denen, die echte Kunst betreuen, fürs Filmesehen entschuldigen müsse. Der Wissenschaftler schreibt konsequent weiter, er sehe am liebsten Filme, in denen Bilder vorkommen, er meint statische, malereiähnliche Bilder.
In dem Film Das Pfauenparadies müsste man in der Konsequenz eine Stelle notieren, und viele Kritiker haben dies auch getan, wenn der Pfau des Films, den es tatsächlich gibt, in einer Wohnung, in die er mitgeschleppt wurde, auf das Bild einer Taube trifft. Tatsächlich scheint der Pfau das Bild aktiv zu bemerken. Was er bei dem Anblick denkt, ob er überhaupt etwas denkt, wissen wir nicht. Im unmittelbaren Anschluss fällt eine Vase herunter und wir sehen, wie der Pfau für das von ihm verantwortete Missgeschick auf den Balkon ausgesperrt wird. Dort sieht er dann eine echte Taube. Diese Begegnung besiegelt sein Schicksal.
Obwohl der Pfau ganz real da ist/war, wird man ihn dann doch eher als eine Metapher denn als reales Abbild eines exotischen Tiers nehmen: Er ist sozusagen der einzige echte Pfau inmitten der vielköpfigen Menschengruppe, die zusammengekommen ist, um den Geburtstag von Nena zu feiern (Dominique Sanda, seltsam prominent, strahlt den Charme würdigen Alterns aus). Zu Nena hin, die so etwas wie das Herzstück, aber nicht der Nabel des Films ist, sind ihr Mann sowie eine Haushälterin orientiert, mit der Nena ein Geheimnis hat. Zu Besuch kommen zwei Kinder Nenas mit Partnerin und Ex-Partner, dazu eine Geliebte, eine juvenil-trotzige Großcousine, ein Enkel und eben der Pfau. Die Konstellation ergibt eine latent explosive Mischung, ohne dass es irgendwer direkt aufs Zündeln anlegte. Ein Kritiker fühlte sich an ein Mobile erinnert, das auf jeden Impuls stets als Ganzes reagiert. Ohne Metaphorik kann man von normaler Familiendynamik sprechen.
Es ist eines der großen Geheimnisse des Kinos, dass eine Gruppe von Menschen, die miteinander sprechen, aufeinander reagieren und entsprechend inszeniert werden, kaum 90 Minuten Langeweile produzieren können; im vorliegenden Fall sorgen allein die wechselnde Perspektive und eine ungewöhnliche fluide Kamera für Lebendigkeit und Individualität. “Eingesperrt” in eine Neubauwohnung in einem unglamourösen Badeort an der Adria, sehen wir einer veritablen Familienaufstellung zu. Das verdankt sich zunächst einem außergewöhnlich dichten Drehbuch, das die Regisseurin mitverfasst hat, sowie den Typen, die sie versammelt hat. Dann verlassen die psychologischen Sentenzen ihre VerfasserInnnen, die Autoren des Drehbuchs, und manifestieren sich in den SchauspielerInnen, die sich, das heißt ihr Äußeres und auch ein Wenig ihres Inneren für den Moment zur Verfügung stellen. Am Ende ist es wieder der Kunst von Inszenatorin, Kameramann und Monteuren überlassen, das Ganze zu einem Bild zu machen (einem Bild gleich einem Film, Herr Macho!).
Bispuri nimmt sich die Freiheit, durch ein eingespieltes, dynamisches Cello gelegentlich zu kommentieren bzw. die Debatten innerhalb der Familie zu übertönen und uns so für Momente vom Geschehen zu distanzieren. Geschehen ist auch übertrieben: Es geht um Positionen, Näherungen, Abgrenzungen oder auch nur ums Mitteilen – ein Paar will heiraten, die Großmutter offenbart ein Verhältnis außerhalb ihrer Ehe –, doch stets auch darum, wie die Anderen reagieren. Angebote werden gemacht, auf die eingangen wird oder nicht. So funktioniert Kommunikation: selten rein, oft nur unter Missverständnissen oder Misstönen. Die Familie ist das Gebilde, innerhalb dessen man dieser Mechanik auf keinen Fall entkommt.
Ertönt das Cello als eine Art Auszeit, erkennt man die einzelnen Stimmen als Kakophonie sich überlagender Eindrücke, die immer mit eigener Sympathie und Antipathie zu tun haben. Ist der forsche, ins Familieninnere zurückwollende Ex-Schwiegersohn erfolgreich, nur weil er dreist ist? Warum tendieren wir dazu, den kindlichen Wahrheiten der achtjährigen Alma zu folgen? Ist ihre Mutter, von Alba Rohrbacher herausragend dargestellt, vorsichtig oder übertrieben besorgt?
Eine Frage beantwortet Das Pfauenparadies in der Tat: Es ist das Kino Italiens, das in der Krise die interessantesten westeuropäischen Beiträge zur Verfügung stellt.