FILMTIPP #72: EIN GESCHENK DER GÖTTER VON OLIVER HAFFNER (DEUTSCHLAND 2014).

Foto: Eckhard Burbach

Wozu Filme alles gut sind: Mit Oliver Haffners Ein Geschenk der Götter lässt sich unter anderem die Kenntnis eines Oberstufen-Klassikers auf­frischen. Der Film handelt in der Hauptsache von einer Einübung der Antigone, dem Stück des grie­chischen Tra­göden Sophokles aus dem 5. Jahr­hundert vor Chri­stus. Das Stück wird öffentlich immer dann gespielt oder zitiert, wenn die Hal­tung “Wo das Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht” ge­fragt ist. Von wem der Satz stammt, ist nicht recht heraus­zufinden, der Name Brecht wird öfters genannt. Ich erinnere mich an die ambitionierte Episode in Deutschland im Herbst (1977), in der Angela Wink­ler die Anti­gone außerordentlich ernsthaft und ein wenig ver­spannt interpretierte.

Ernsthaft und angestrengt, dass ist so ziemlich genau das Gegenteil des Ein­drucks, den man beim Sehen von Haffners Film bekommt. Das F!F-Publikum war jedenfalls begeistert und spendete minutenlangen Applaus für eine Tra­gö­die, die zur Komödie wird – und mit der Arbeitslosigkeit doch ein ernstes Thema im Deutsch­land des Jahres 2014 verhandelt. Erst einmal geht es um die Schau­spie­lerin Anna (Katharina Marie Schubert), die ihren Job in ei­nem Stadt­thea­ter der Provinz verliert (gedreht wurde, auch wegen der För­de­rung, in Ulm). Von der Theaterrampe ins Jobcenter – Anna lässt, trotz vie­lerlei Wi­der­ständen und Hemm­nissen, den Mut nicht sausen und initiiert mit Hilfe einer theaterbe­gei­sterten Arbeitsvermittlerin selbst ein En­semble, das sie mit den einschlägigen gel­ben reclam-Heftchen ausstattet: Unter der Anti­gone soll es eben nicht sein. Die Schauspieler-Truppe besteht aller­dings aus acht Lang­zeit­ar­beitslosen, von denen jede/r auf seine Weise das Stigma “Schwer ver­mittel­bar” trägt. Damit sind die Voraussetzungen für einen Ensemblefilm aus Deutschland ge­ge­ben, wie man ihn lange nicht gesehen hat.

Es ist eine große Idee, die zur Struktur führt: die unterschiedlichen Typen, die das Leben gebeutelt hat, den Idealtypen der klassischen Tragödie an­zu­passen, den alternden Handwerker ebenso wie die überforderte Mutter zweier Mäd­chen, den zynischen Intellekuellen und den antriebslosen jungen Mann, der seine Leseschwäche nicht mehr verdecken kann, und andere. Es gibt auch ei­nen Star; zumindest hält er sich selbst dafür, der gebür­ti­ge Grie­che Dimi­tri, ein sympathischer Selbstdarsteller, der gern über Würde und Stolz schwadro­niert und Anna trotzdem irgendwie für sich einnimmt. F!F-Besu­cher­Innen kannten Adam Bousdoukos schon aus Fatih Akins Feelgood-Ko­mödie Soul Kit­chen. Die Rolle des verhinderten Meisterkochs schreibt Bousdoukos hier fort, findet dazu eine neue Facette in dem selbstherrlichen, autokrati­schen König Kreon. Die Krone wird zu Dimitris wichtigstem Accessoire.

Gruppendynamik, Reibung, Handgreif­lich­keiten gar, all das ist mit diesem Ensemble vorprogrammiert. Trotz allem rauft sich die Truppe ir­gend­wie zu­sammen und schafft es bis zu einer öffentlichen Auf­füh­rung. Wel­che Disaster sie bis zum diesem Punkt und darüber hinaus erwarten, sei hier nicht ausge­plau­dert, aber auf ein Detail muss ich eingehen. Auf der Bühne des Stadt­thea­ters steht am Ende der Palast des Königs Kreon, behelfsmäßig zusammen­genagelt aus Dachlatten, das Werk eines erfahrenen Schreiners im Ensemble.

Als wir unser improvi­siertes Kino auf dem Werksgelände von Boehringer Ingelheim betraten, war die Bühne entsprechend prä­pariert: Auf Veranlassung unserer Event-Managerin hatten die Veranstal­tungs­techniker die Ruine des Palastes von Kreon, so wie sie als Bild im Film vorkommt, auf die Vorbühne drapiert. Darüber staunte nicht nur unser Publikum nicht schlecht, sondern auch unsere beiden Gäste. Der Regisseur Oliver Haffner und der Produzent Ingo Fließ freuten sich mit uns auch an dem zum Kino umfunktionierten Boeh­ringer Con­gress Cen­ter: perfekt in der Technik, im Catering, sogar mit aufsteigender Bestuh­lung. Dieses ungewöhn­li­chste Kino im Land Rhein­land-Pfalz durften die Freunde Ingelheimer Filmkultur in den letzten Jahren mehrmals nutzen.

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