Das Modell „303“ ist ein Reise-Omnibus von Mercedes-Benz aus den 80er Jahren. Wahrscheinlich ist der Regisseurs des Films damit einst zur Schule gefahren worden oder hat in seiner Jugend eine Reise damit gemacht. Voller Nostalgie, so scheint es zunächst, ist jedenfalls Hans Weingartners Roadmovie „303“, denn wenn zwei junge Menschen, beide attraktiv, in einem alten Bus mitten im Sommer gemeinsam eine Reise durch Europa beginnen, kann eigentlich nichts anderes herauskommen als eine als Roadmovie getarnte Romanze. Tatsächlich zu sehen ist im Film allerdings ein Mercedes Benz, Typ „Hymer T 1 ‚Bremer‘ 650“. Und „303“ ist mehr als die Geschichte von zwei jungen Leute, die sich nach einer Viertelstunde ineinander verknallen und dann mehr als eine Kinostunde brauchen, um tatsächlich zueinander zu finden.
Jule ist durch ihre Abschlussprüfung in Biologie gefallen. Außerdem ist sie ungewollt schwanger. In einem Wohnmobil, übernommen von ihrem Bruder, der sich vor kurzem umgebracht hat, fährt sie los, um den Erzeuger des Kindes in Portugal zu besuchen. Kurz nach Berlin gabelt sie den Politikstudenten Jan auf, der sich wegen eines Stipendiums mit seinem Betrauer an der Uni überworfen hat. Das erste Treffen der beiden währt nur kurz, dann trennen sich die Wege von Jule und Jan zunächst wieder. Wenig später kommt er ihr in einer unangenehmen Situation zu Hilfe – und den Rest des Films, der etwa eine Woche Realzeit abbildet, fahren die zwei durch Europa: von Berlin über Köln, weiter über Belgien nach Frankreich, hinein nach Spanien und schließlich nach Portugal. Die ganze Zeit reden Jule und Jan miteinander.
Zwei Menschen, die nichts miteinander zu tun hatten, treffen sich zufällig. Sie tasten sich verbal ab, reden, tauschen Meinungen und Standpunkte, streiten dann gleich über Essenzielles. Je länger die Reise dauert, umso vertraulicher werden die Gespräche. Es geht es um die ganz großen Themen, und fast nie kommt man dabei schnell auf einen gemeinsamen Nenner oder verständigt sich über einen Kompromiss. Denn Jule und Jan sind nicht nur bloße Aussteiger, späte Hippiekinder, sondern wie aus ihrer jeweiligen Ordnung herausgefallen. Beide sind keine einfachen Charaktere, stehen sich zum Teil selbst im Weg, weil sie sich quer zu gegebenen Ordnungen stellen. Beide suchen ihren eigenen Weg. Jan ist der politisch aktive Kopf, er investiert viel Dynamik, um am Ende oft die falsche Entscheidung zu treffen. Jule wirkt ruhiger und reflektierter, aber auch verzagt und verwirrt. Zumindest beginnt es so.
Nach eigener Aussage sind die Arbeiten des Regisseurs Hans Weingartner immer schon Mischungen aus „Philosophie und Liebesfilm“. Im Fall von „303“ ist Weingartner zur Form seines Erstlings „Das Weiße Rauschen“ (2001) aufgelaufen, der Film, der seinerzeit Daniel Brühl zum Durchbruch verholfen hat. Auch damals ging es um die Reise in einem alten Bus, und der Held war kein Held, sondern ein unsicherer junger Mann auf der Suche nach sich selbst. Weingartner hat in der Vorbereitung seines neuen Films 200 Interviews mit jungen Leuten auf Video aufgenommen, um zu möglichst authentischen Aussagen zu kommen. Nichts in „303“ ist improvisiert, wie man ob der Wirkung glauben könnte, alles ist der heutigen Jugend von den Lippen abgelauscht. Wer einen beeindruckenden Film sehen möchte, in der junge Menschen nicht so reden, wie ihre Eltern gerne möchten, dass sie reden, sondern quasi unbeobachtet, unzensiert, tastend auf der Suche nach sich selbst, der ist am 04. Juli um 18:30 Uhr im Alten Kino in der Ingelheimer Turnerstraße an der richtigen Stelle.