Nicht nur ein Abschied, auch ein Anfang. Die fünf Musiker wussten, dass sie nicht mehr als The Band auftreten wollten, und taten es noch einmal, mit Plan und voller Überlegung. Dazu ersannen sie eine konzertante Last Waltz Suite und luden, äußerst öffentlichkeitswirksam, viele Wegbegleiter dazu, die Besten der populären, amerikanisch grundierten Musik der 70er Jahre. Neil Young münzte das Ganze vor seinem Auftritt zu einem großen Kompliment: “I just want to say before I start that it’s one of the pleasures of my life to be on this stage with these people tonight.”
Sechs Stunden dauerten die musikalischen Darbietungen, zwei Stunden das ins Ticket integrierte Truthahnessen im Winterland von San Francisco – man schrieb den Thanksgiving Day 1976. 5000 Menschen waren da (und aßen angeblich über 4000 Pfund Truthahn). Danach nahm sich Martin Scorsese noch einmal anderthalb Jahre Zeit, um abwechselnd Band-Standards, einen oder zwei Songs eines Gastes, viele Interviews und drei nachgedrehte Konzertnummern zu montieren. Und das ist das Neue an The Last Waltz: Mit der Kinopremiere des Films im April 1978 beginnt die Fusion von Musik und Bild auf gleichberechtigtem Level – drei Jahre vor MTV und doch schon eher dort anzusiedeln als bei den herkömmlichen Konzertmitschnitten, die sich bis dato stets nach dem vorrangigen Ereignis gerichtet hatten und bei denen die Kamera über die Rolle des nur geduldeten, “zufälligen” Beobachters kaum hinausgekommen war.
Nun ist es nicht so, dass die Stars sich bereits primär nach der Kamera gerichtet und verhalten hätten, wie heute üblich, noch steht ihre leibliche Präsenz auf einer Bühne im Vordergrund. Die Musiker agierten konventionell, während sich der Filmemacher vor allem darum bemühte, die Arbeit von sieben möglichst unsichtbaren, gleichwohl renommierten Kameramännern, darunter Michael Chapman (Taxi Driver), Lázló Kovács (Easy Rider, Paper Moon) und Vilmos Zsigmond (Deliverance) zu koordinieren. Dafür sorgte ein 300-Seiten-Skript, das sich nach der Musik orientierte, an wechselnden Einsätzen, an Griffwechseln, am gesungenen Wort, an dem exquisit gesetzten Bühnenlicht. Die komplizierte Aufgabe des Zusammenspielens, die jedes musikalische Ensemble der Welt herausfordert, wurde also mit einem gestalterischen Konzept unterlegt; dieses bestand aus Einstellungsgrößen und -winkeln, Kamerabewegungen sowie einem ausgefeilten Lichtkonzept. Song meets movie wäre die Kurzformel, würde man eine suchen. Dabei orientiert sich der Film daran, wie die Musik gemacht wird; die ist dann aber auch für immer da, konserviert in einem anderen Medium, als Konserve und als Bild, als Vorstellung. Das Einmalige spielt eine untergeordnete Rolle – man ahnt in The Last Waltz das Publikum im Saal eher als dass man es sieht. Dafür wird mit der Rahmung durch eine Bühne die ewige Wiederkehr der Musik als tema con variazioni betont. Nicht umsonst hatte sich Scorsese das Bühnenbild der San Francisco Opera für den Abend ausgeborgt; die grandiosen Leuchter des Saals sollen aus dem Fundus von Gone with the Wind/Vom Winde verweht gekommen sein.
In diesen theatralisch-festlichen Rahmen schneiten die restlichen Musiker hinein, aus allen Teilen des Landes, aus diversen Arbeitsphasen, von der Vorbereitung von Tourneen oder Alben. Es ist kaum anzunehmen, dass mehr als ein oder zwei Probetage mit The Band zur Verfügung standen, die für die meisten Solisten als Begleitcombo die Rhythmussektion stellte, was per se nicht unbedingt ihre Stärke war. Obwohl es sich selbstverständlich um erfahrene Musiker handelt, könnte man im Spiel der ad hoc zusammengestellten Ensembles gewisse Schwächen sehen – davon zeugen die bisweilen angemerkten, irritierten oder sich verständigenden Blickwechsel der Musiker: “They got it now, Robbie”, befindet allerdings Neil Young, als der Key zu “Helpless” gefunden ist. Scorsese hat solche Überbleibsel des Live-Musizierens, wie auch sich als Interviewer, im Film gelassen. Er arbeitet das performative Element der Bühne mit Absicht heraus: Schon am Anfang, als er Robbie Robertson manche Sätze zwei-, dreimal sagen lässt, ohne dann etwas davon herauszuschneiden, oder am Ende einer der im Studio nachinszenierten Nummern, “Evangeline” von und mit Emmylou Harris, als die Kamera nach oben unter die Studiodecke fährt, während die Musiker langsam und jeder für sich und in seine Richtung die Sound Stage der MGM verlassen. Die Musik ist vorbei, unser Job ist gemacht, soll das wohl heißen, jetzt seid Ihr dran, Ihr Leute vom Film, um das Ganze attraktiv für die Nachwelt zu machen.
Was The Last Waltz weniger ist, kann man an einer einzigen Nummer ablesen: Neil Diamonds “Dry your Eyes” ist großes amerikanisches Showbiz, Aufritt mit Theaterdonner, Musik zum Verbrauchen – die Gefühle stellen sich ad hoc ein, darüber hinaus bleibt wenig zurück. Dagegen setzt The Band ihre Form von Americana – a lifestyle that we got to learn in Woodstock, sagt Garth. Es ist keine Ironie, dass es sich bei The Band um Levon Helm (1940-2012) aus Arkansas sowie vier Kanadier handelt: Robbie Robbertson (geb. 1943), Rick Danko (1943-1999), Richard Manuel (1943-1986) und Garth Hudson (geb. 1937). Gefunden hatte man sich einst als Begleitband von Ronnie Hawkins, der im Film dann auch der erste Gast ist. Einige Jahre spielten die fünf Musiker als Begleitband von Hawkins, ehe sie sich als The Band selbstständig machten. Ein wichtiger Schritt war der aus dem Melting Pot New York heraus in die Künstlerkolonie Woodstock upstate im Staate New York, 60 Jahre früher das Zentrum der Arts- und Craft-Bewegung. Hier draußen war das Leben ruhiger, es wurde allerdings nun immer häufiger unterbrochen von musikalischen Jobs, später von Tourneen. It’s a goddam impossible way of life lautet ein Schlüsselsatz für das Ende von The Band, den Robbie gegen Ende des Films äußert, und wird damit zu Inititialzündung für The Last Waltz. Noch einmal auf der Bühne gemeinsam mit viel Freude musizieren, das sollte ein letztes Mal demonstriert und “für immer” festgehalten werden. Das hat etwas Programmatisches, ähnlich wie die im Handwerk verwandten älteren Künste in der Kolonie Woodstock. Nicht nur spielen die einzelnen Bandmitglieder mehrere Instrumente – Garth hat ein effektiv inszeniertes Saxofonsolo in “It makes no difference”, Levon spielt Mandoline, Rick Danko Fiddle – auch die Auswahl der Gäste wirkt wie das Zusammenkommen einer Familie oder mindestens einer alternativen Gemeinschaft. Alle haben etwas mit The Band zu tun, des weiteren sind alle auch Teil des Aufbruchs der amerikanischen Zivilgesellschaft, der seit den späten 60er Jahre an gesellschaftspolitische Ziele gekoppelt war. Wobei das Private, das Zwischenmenschliche, um ein Schlagwort der 68er aufzugreifen, natürlich ebenfalls als politisch begriffen wurde: A whole other frame of mind, nennt es Robbie.
Die beiden Kanadier Neil Young und Joni Mitchell sorgen für frühe Highlights auf der Bühne, wobei Mitchell bei Youngs “Helpless” schon mehr als eine backing vocal ist; beider Songs handeln von Suchbewegungen, vom Verloren- und Verlassensein. Auch Van Morrison ist mit einem “Caravan” unterwegs; der irische Eigenbrötler, the unknown beast, wie ihn Scorsese süffisant ankündigen lässt, erschien selten so energiegeladen und gleichzeitig auf eine Band eingehend.
Scorseses Interviews verfolgen das Ziel, die Story von The Band kohärent zusammenzufassen. Dazu lässt er die fünf Musiker allerlei Anekdoten erzählen, die aber stets die große Erzählung voranbringen: Rock’n roll, Singer-Songerwriter, Blues, Country, Soul und schließlich Bob Dylan sind die Kapitel dieser Erzählung. In der Dokumentation ist aber auch ein Erklärfilm verborgen: behind the scenes wird der Kern wie die Last des Mythos deutlicher, den diese Musik ausstrahlt.
Der Regisseur tut sehr viel für einen guten Rhythmus, des Ganzen wie der einzelnen Nummern. An Emylou Harris’ Auftritt wirkt alles “schön” und harmonisch. Das ist der Choreographie zu verdanken; die Kamera ist auf Schienen unterwegs, fährt zwischen den Musikern, geht in die Nahaufnahme, beobachtet, schwingt mit. Farbiges Licht untermalt Stimmungen. Ähnlich bei einer weiteren Inszenierung: Obwohl “The Weight” im Konzert gespielt wurde, nahm man es im Studio erneut auf. Der Song reift, nach “Entdeckungen” wie den neu beteiligten Staple Singers, zum herausragenden Clip, zum audiovisuellen Extra inmitten des Konzertfilms.
Doch da ist auch eine andere, düstere Seite. The numbers start to scare you, bemerkt Robbie, und Rick nimmt den Faden auf: Bei seiner Version von [„See the man with the“] Stage fright denkt man von heute aus unwillkürlich an Dankos Tod mit 55 Jahren; auch Manuel starb bekanntlich vor der Zeit und unter ungeklaren Umständen. Später erhob Levon Helm noch den Vorwurf der übermäßigen Egozentrik, gerichtet an Robbertson, was durch den Film klar werde. Robbie Robbertson spielt nie mehr mit The Band. Das Buch war zu. Der Nachwelt bleibt eine grandiose filmische Erinnerung an die Klassiker des elektrisch verstärkten Folk, einer wahren – und nicht allein amerikanischen – Volksmusik.