Das Andere des Menschen, das Andere im Menschen hat das Kinopublikum zu allen Zeiten angezogen. Die Filmgeschichte wimmelt von Schizophrenen und Triebtätern, Neurotikern und Sonderlingen. Je reiner, je unschuldiger eine gute Seele auf der Leinwand erscheint, umso gruseligere Züge, so die Regel, kann der jeweilige Antipode annehmen. Und das betrifft beileibe nicht nur Menschen aus Fleisch aus Blut: Die Milleniumsberlinale 2000 konnte bereits auf ein ganzes Jahrhundert “Künstliche Menschen und Manische Maschinen” zurücksehen.
Dabei ist die schöne und verräterische Maria aus Metropolis die Ausnahme geblieben. Künstlich geschaffene Lebewesen sahen in der Regel aus wie der Golem oder Cesare aus dem Caligari-Film, lädiert wie Boris Karloff als Frankenstein oder geradezu übermännlich wie der Terminator. Auffällig ist auch die überhöhte Sexualisierung der artifiziellen Frau, sei es Darryl Hannah im ersten Blade Runner (1982) oder die Androidin Ava in Ex Machina (2015), die ihren Erforscher neben der äußeren Attraktivität auch mit einem außerordentlichen IQ überraschte.
In jüngster Zeit haben Filmcharaktere die Konsequenz fortgetrieben und sich in bizarre Maschinen verliebt: der introvertierte Theodore (Joaquin Phoenix) findet seine Her im gleichnamigen Film (Spike Jonze, 2013) im Betriebssystem seines Computers, das sich selbst Samantha nennt, die “Sanftmütige und Gehorchende”. Rau geht es hingegen in Titane (Julia Ducornau, F 2021) zu, in dessen erstem Teil die Protagonistin Alexia sowohl mit einem getunten Cadillac als auch mit drei Männern hintereinander Sex hat, die sie einer Gottesanbeterin gleich im Anschluss tötet; im zweiten, differenten Teil kehrt Alexia zu ihrem menschlichen Körper zurück, changiert dabei aber in auffälliger Weise: Äußerlich mimt sie einen Mann bzw. Jungen und findet so zeitweise einen Ziehvater. Am Ende stirbt sie, die vom Sexus her eine Frau ist, bei der Geburt ihres Kindes.
Solche Erfahrungen tendieren dazu, Menschen abzuschrecken. Die Medientheorie kontert mit der einsehbaren Formel, Film konfrontiere gerne mit symbolischen Grenzerfahrungen, die besser nicht mit realen, existenziellen Erfahrungen verwechselt werden sollten. Die Medienethik stellt darüber hinaus die Forderung auf, angesichts möglicherweise verstörender Seh- und Hörerlebnisse im Kino, die abseitige Phantasien befördern können und sollen, dass Filme heute nicht nur mit einem ethischen Bewusstsein produziert werden, sondern auch zu einer verallgemeinerbaren ethischen Diskussion führen sollen, dabei aber keine Leitmeinung oder Tendenz vertrügen: der bekannte Unterschied zwischen Ethik und individueller, geschmacksgeleiteter Moral. Film ist und bleibt in vielen Fällen Grenzgang, Provokation, Schock und nicht nur ästhetische Herausforderung. Was seine Ähnlichkeit mit dem Aussehen wirklichen Lebens verfestigt, unterminiert aber der Schrecken; je bizarrer, je krasser das Seherlebnis ist, desto bereitwilliger sind wir offenbar, die der Fiktion zukommende Wirkung einzuräumen und uns unsererseits als kannibalistisch genießende Gottesanbeter gleich Mediennutzer zu identifizieren.
Insofern ist der Film, den wir für die Ingelheimer Mitmach-Ausstellung “POWER.ON – eine fantastische Reise in die Welt der Maschine” ausgewählt haben, eine kleine Falle, (doch unserer Meinung nach nicht “sturzbieder”, wie die F.A.Z. jüngst schrieb). Denn die Frage, vom Roboter aus gestellt, scheint hier endlich zu Ende gedacht: Wie sieht das Wesen Mensch eigentlich von der anderen Seite aus, unperfekt, mit all seinen Fehlern und Ängsten?
Wir haben heute oft schon eine Alexa oder Siri zu Hause: “Damen”, die nicht aus Fleisch und Blut sind und in die man sich, zugegeben, schwerlich verlieben wird. Anders die Wissenschaftlerin Alma (Maren Eggert), die an einer dreiwöchigen Studie teilnimmt, die ihr einen humanoiden Roboter zuteilt. In Ich bin dein Mensch ist die männliche Maschine darauf programmiert, nach allen Regeln aus dem Lehrbuch der Verführungskunst um den weiblichen Menschen zu werben. Anfangs geht da noch viel schief, doch liegt es im Wesen der programmierten Maschine, sich Stück um Stück zu optimieren. Von daher schmilzt Almas Widerstand, denn sie muss langsam einsehen, dass Tom (Dan Stevens), der zu allem auch noch blendend menschlich aussieht, der perfekte Partner für sie wäre. So kommen, weil Alma ja ein echter Mensch ist, tatsächlich Gefühle ins Spiel. Die Frage, die übrig bleibt: Was ist mit den Gefühlen von Tom?