FILMTIPP #106: FILM UND TIERE (2). DER FUEHRER’S FACE. AUS DEM HAUS DISNEY (USA 1943). AUF YOUTUBE.

Dr. Carlo Thielmann vor einem Zitat von Friedrich Nietzsche. Foto: F!F

Eine Maus & zwei Enten haben den Namen groß gemacht. “Disney” steht seit dem ersten Langfilm Snow White and The Seven Dwarfs (1937) für zeitlose Fa­mi­lien­unterhaltung aus der Gattung Animation. In den folgenden 39 Jahren bis zum Tod des Imperiumsgründers Walt Disney (1901-1966) verließ durch­schnitt­lich aller­dings weniger als ein Langfilm pro Jahr die Werkstätten in Bur­bank. Die Premiere von The Jungle Book erlebte der Mann selbst schon nicht mehr. Nach­fol­gen­de Blockbuster wie Aristocats, Bernhard und Bian­ca – Die Mäuse­polizei, Aladdin, König der Löwen oder Mulan kommen aus einem auch für Hol­ly­wood einzigartigen Imperium; die Weitsicht, das graphische Gespür und das Or­ga­ni­sa­tion­sgeschick des Gründers waren allerdings bald Geschichte. Heu­te strickt eine Mer­chan­di­semaschine, die sich Disney nennt, kommerzielle Er­folgs­re­zep­te fort. Unter anderem betreibt sie einen der führenden Streamingdienste.

Der Blick zurück auf den wahren Disney lohnt sich. Das Dschungelbuch, bis heu­te vermutlich der bekannteste Disneyfilm, hält Andreas Platthaus in sei­ner infor­mier­ten Werkmonografie für einen der wenigen gelungenen späteren Fil­me. In der Tat lagen die Experimente, die zu bahnbrechenden Innovationen wurden, zu dieser Zeit bereits 25 Jahre zurück. Wie immer bei Disney sind Verweise auf die Ge­gen­wart rar: die Geier, die Moglis Freunde werden, erscheinen lose an die Beat­les angelehnt, die Hypnose des Pythons Kaa erinnern ein wenig an Psychedelik, von der musi­ka­lischen Gestimmtheit ist man hier aber eher bei schwungvoller Dixie­land-Stimmung der 50er Jahre zuhause.

Ansonsten dominiert, was wir unter der klassischen Disney-Manier (im Sinne von maniera) verstehen. Die hat stets zwei Markenzeichen: überzeugende Charaktere, das heißt Tiere, die wie Menschen kommunizieren, und gut einsehbare, attraktive Schau­plät­ze mit sorg­fältig gewählten Details. Der Animations­tech­nik der so­ge­nannten Cels ge­schuldet, wurde ein Hin­tergrund als unbewegliches Tableau fest­ge­legt, den die Kamera lediglich lateral erschließen kann, vor dem sich die Cha­rak­tere aber umso lebhafter bewegen. Raumtiefe wird durch ein Licht und Farbe suggeriert: ein pikoriales Konzept. Seit einer Austel­lung franzö­sisch-kanadi­schen Ursprungs, die auch in München Station machte, weiss man, wie intensiv Dis­ney sich an Vorbildern der europäischen Kulturgeschichte orientiert hat. 1935 be­reiste er mehrere Wochen lang Euro­pa und führte um die 300 Bücher nach Kali­for­nien aus, die für seine Zeich­ner zu einem unerschöpf­lichen Fundus wurden. Doré und Grand­ville, Rack­ham und eine Vielzahl phanta­sti­scher und magi­scher Realis­men stan­den für die neue Bildwelt Pate. Für die Sto­rys belieh Disney die Fabeln des Äsop wie vor allem Märchenerzähler des 19. Jahrhunderts.

Wie alle gestalterischen Innovatoren der späten Moderne schwankt Dis­ney zwi­schen Konkretion und Abstraktion. Konkret ist er da, wo er verstanden wer­den will, wo seine Tiere wie bessere (oder schlechtere) Menschen agieren; ab­strakt ist er im Ästhe­ti­schen, wo alles auf den guten, harmonischen, runden Ge­samt­ein­druck hin­ar­bei­tet; in der Tat war roundness ein Ansporn, dem Disneys Ani­ma­tions­zeich­ner fol­gen sollten. Zweites zentrales Gestaltungselement ist der Song, der die Op­tik anleitet und der so manche Passage aus Disneyfilmen in die Nähe von Chorus line-Musi­cals rückt: die Eroberung des Raums aus dem Geiste der Musik, nennt es Platt­haus. Der be­kann­teste Song von Das Dschungelbuch deu­tet den Transfer mit einem Wortspiel an: Kinder hören etwas von den bear ne­cessities, also das, was Bären brauchen. Erwachsene werden auch die bare ne­cessi­ties heraushören – all das, um was es geht im Leben auf dieser Welt.

Singen, tanzen, Freunde – das ist die Essenz, folgt man Disney. Dem Konzept, Tie­re zu Men­schen zu machen, ließ er im Formalen die Übertragung des Formats Spielfilm auf die Gattung Zeichentrick folgen. Damit wurde sie erwachsen, das heißt fami­lien­taug­lich. Man sollte an der Stelle aber wachsam sein: Die An­thro­po­mor­phi­sie­rung des Tie­res ist eine Strategie, der im Kino in der Regel wenig Wi­der­stand ent­gegengesetzt wird. Um hier mehr Klarheit zu gewinnen, hat­ten die Film­freun­de mehrfach den Tierfilmexperten Carlo Thielmann zu Gast: Seine Ex­per­tise & seine di­dak­ti­sches Gabe haben unsere “Tierfilmabende” bereichert (s. Foto).

Seinem zweiten zentralen Tier neben der Maus, der Ente, widmete Disney selbst we­niger Auf­merk­samkeit. Er sah sich als Hollywood-Gründer und Tycoon, der mit dem Animations­film Furore machen wollte; für die ganze Familie waren die Ak­tio­nen von Donald & Dagobert jedoch zu erwachsen, zu sophisticated: Sie leben in Duckburg, jenem Kleinstadtkosmos, in dem es auch um Geld und andere Ka­lami­täten geht. Die gedruckte Variante des Comics war die sichere Basis des Kon­zerns, der Film das Spielbein, mit dem sich mit etwas Glück mehr verdienen ließ.

Eine kurze Phase in Disneys Karriere macht hier die Ausnahme, die Zeit der Mo­bilisierung gegen Nazi-Deutschland. Disney konnte seinen glühenden Amerikanis­mus mit einem Mal produktiv ausleben, und diese Engagement bescherte uns das lustigste Porträt des furchtbaren Regimes: In Der Fuehrer’s Face von 1943 erlebt Donald den Alb­traum, in einem Nutzi-Land leben zu müssen, das seine legen­dä­re Träg­heit mit gebrüllten Marschliedern und der permanentenAufforderung zu pro­duk­tiver Ar­beit zu verscheuchen trachtet. Natürlich hält Donald stand: Bleibe Du selbst! ist die Aus­sage, der sich alle Details unterordnen. Wer Disney-Filme nicht kennt oder nicht mag, sollte zumindest diesen Versuch wagen: Es gibt, wie gesagt, kein lustigeres Stück über Deutschlands dunkelste Zeit.

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