Eine Maus & zwei Enten haben den Namen groß gemacht. “Disney” steht seit dem ersten Langfilm Snow White and The Seven Dwarfs (1937) für zeitlose Familienunterhaltung aus der Gattung Animation. In den folgenden 39 Jahren bis zum Tod des Imperiumsgründers Walt Disney (1901-1966) verließ durchschnittlich allerdings weniger als ein Langfilm pro Jahr die Werkstätten in Burbank. Die Premiere von The Jungle Book erlebte der Mann selbst schon nicht mehr. Nachfolgende Blockbuster wie Aristocats, Bernhard und Bianca – Die Mäusepolizei, Aladdin, König der Löwen oder Mulan kommen aus einem auch für Hollywood einzigartigen Imperium; die Weitsicht, das graphische Gespür und das Organisationsgeschick des Gründers waren allerdings bald Geschichte. Heute strickt eine Merchandisemaschine, die sich Disney nennt, kommerzielle Erfolgsrezepte fort. Unter anderem betreibt sie einen der führenden Streamingdienste.
Der Blick zurück auf den wahren Disney lohnt sich. Das Dschungelbuch, bis heute vermutlich der bekannteste Disneyfilm, hält Andreas Platthaus in seiner informierten Werkmonografie für einen der wenigen gelungenen späteren Filme. In der Tat lagen die Experimente, die zu bahnbrechenden Innovationen wurden, zu dieser Zeit bereits 25 Jahre zurück. Wie immer bei Disney sind Verweise auf die Gegenwart rar: die Geier, die Moglis Freunde werden, erscheinen lose an die Beatles angelehnt, die Hypnose des Pythons Kaa erinnern ein wenig an Psychedelik, von der musikalischen Gestimmtheit ist man hier aber eher bei schwungvoller Dixieland-Stimmung der 50er Jahre zuhause.
Ansonsten dominiert, was wir unter der klassischen Disney-Manier (im Sinne von maniera) verstehen. Die hat stets zwei Markenzeichen: überzeugende Charaktere, das heißt Tiere, die wie Menschen kommunizieren, und gut einsehbare, attraktive Schauplätze mit sorgfältig gewählten Details. Der Animationstechnik der sogenannten Cels geschuldet, wurde ein Hintergrund als unbewegliches Tableau festgelegt, den die Kamera lediglich lateral erschließen kann, vor dem sich die Charaktere aber umso lebhafter bewegen. Raumtiefe wird durch ein Licht und Farbe suggeriert: ein pikoriales Konzept. Seit einer Austellung französisch-kanadischen Ursprungs, die auch in München Station machte, weiss man, wie intensiv Disney sich an Vorbildern der europäischen Kulturgeschichte orientiert hat. 1935 bereiste er mehrere Wochen lang Europa und führte um die 300 Bücher nach Kalifornien aus, die für seine Zeichner zu einem unerschöpflichen Fundus wurden. Doré und Grandville, Rackham und eine Vielzahl phantastischer und magischer Realismen standen für die neue Bildwelt Pate. Für die Storys belieh Disney die Fabeln des Äsop wie vor allem Märchenerzähler des 19. Jahrhunderts.
Wie alle gestalterischen Innovatoren der späten Moderne schwankt Disney zwischen Konkretion und Abstraktion. Konkret ist er da, wo er verstanden werden will, wo seine Tiere wie bessere (oder schlechtere) Menschen agieren; abstrakt ist er im Ästhetischen, wo alles auf den guten, harmonischen, runden Gesamteindruck hinarbeitet; in der Tat war roundness ein Ansporn, dem Disneys Animationszeichner folgen sollten. Zweites zentrales Gestaltungselement ist der Song, der die Optik anleitet und der so manche Passage aus Disneyfilmen in die Nähe von Chorus line-Musicals rückt: die Eroberung des Raums aus dem Geiste der Musik, nennt es Platthaus. Der bekannteste Song von Das Dschungelbuch deutet den Transfer mit einem Wortspiel an: Kinder hören etwas von den bear necessities, also das, was Bären brauchen. Erwachsene werden auch die bare necessities heraushören – all das, um was es geht im Leben auf dieser Welt.
Singen, tanzen, Freunde – das ist die Essenz, folgt man Disney. Dem Konzept, Tiere zu Menschen zu machen, ließ er im Formalen die Übertragung des Formats Spielfilm auf die Gattung Zeichentrick folgen. Damit wurde sie erwachsen, das heißt familientauglich. Man sollte an der Stelle aber wachsam sein: Die Anthropomorphisierung des Tieres ist eine Strategie, der im Kino in der Regel wenig Widerstand entgegengesetzt wird. Um hier mehr Klarheit zu gewinnen, hatten die Filmfreunde mehrfach den Tierfilmexperten Carlo Thielmann zu Gast: Seine Expertise & seine didaktisches Gabe haben unsere “Tierfilmabende” bereichert (s. Foto).
Seinem zweiten zentralen Tier neben der Maus, der Ente, widmete Disney selbst weniger Aufmerksamkeit. Er sah sich als Hollywood-Gründer und Tycoon, der mit dem Animationsfilm Furore machen wollte; für die ganze Familie waren die Aktionen von Donald & Dagobert jedoch zu erwachsen, zu sophisticated: Sie leben in Duckburg, jenem Kleinstadtkosmos, in dem es auch um Geld und andere Kalamitäten geht. Die gedruckte Variante des Comics war die sichere Basis des Konzerns, der Film das Spielbein, mit dem sich mit etwas Glück mehr verdienen ließ.
Eine kurze Phase in Disneys Karriere macht hier die Ausnahme, die Zeit der Mobilisierung gegen Nazi-Deutschland. Disney konnte seinen glühenden Amerikanismus mit einem Mal produktiv ausleben, und diese Engagement bescherte uns das lustigste Porträt des furchtbaren Regimes: In Der Fuehrer’s Face von 1943 erlebt Donald den Albtraum, in einem Nutzi-Land leben zu müssen, das seine legendäre Trägheit mit gebrüllten Marschliedern und der permanentenAufforderung zu produktiver Arbeit zu verscheuchen trachtet. Natürlich hält Donald stand: Bleibe Du selbst! ist die Aussage, der sich alle Details unterordnen. Wer Disney-Filme nicht kennt oder nicht mag, sollte zumindest diesen Versuch wagen: Es gibt, wie gesagt, kein lustigeres Stück über Deutschlands dunkelste Zeit.