FILMTIPP #117: Nach dem Film ist vor dem Film! Am 27. Oktober um 19:00 Uhr zeigen wir in unserer bewährten Spielstätte Haus Burggarten den bewegenden Dokumentarfilm WALCHENSEE FOREVER (2022) von Janna Ji Wonders. Dazu laden wir gemeinsam mit dem Verein MÜTZE E.V. ein. Wenige Tage später ist es dann soweit: Wir präsentieren unser F!F-Buch!!

Bildquelle: Verleih

Ein Café in Oberbayern, in unheimlich schöner Landschaft: der Walchensee, in einer anderen Leinwandkunst für immer geprägt durch den expressionistischen Ma­ler Lovis Corinth. Hier leben im Lauf der Jahre vier Generationen: Uroma, Oma, Mut­ter, Toch­ter – letz­te­re die Filme­ma­che­rin, die selbst auch schon ein Baby hat. Eine deut­sche Fa­mi­lien-, Kultur- und Mediengeschichte von etwa 1920 an, ein Jahr­hundertporträt in vier Frauenleben. Wie es erzählt ist, kann nur ein Film erzählen.

Die Uroma, von der nur ein paar Bewegtbilder existieren: hochgesteckte Haare, ein neu­gieriges, lebendiges Gesicht, wohl eher eine extrovertierte Frau. Ihre Toch­ter, die Oma – das Ge­gen­teil, zurückhaltend bis wortkarg, das Leben lang fleißig. Sie wird 104 Jahre alt wer­den, schwerhörig und schwer zugänglich, das Gesicht voller Warzen und Räude; es sieht fast so aus, als hätten sich die Ent­täu­schun­gen des langen Lebens auf ihr festgesetzt. Den entscheidenden Knacks hat dieses Leben 1945 erhalten: Der aus dem Krieg heim­gekehrte Mann zeugt zwei Kinder und ver­lässt die Familie, um nur noch Künstler und Fo­to­graf zu sein. Die beiden Töchter, früh renitent, kommen in den Fokus. Die ältere, Anna, wendet sich bald von zuhause ab, lebt zeit­weise im Um­kreis Münch­ner Kom­mu­narden – ein ge­wisser Rainer Langhans kommt hier zu Wort –, kehrt an den Walchen­see zu­rück und ist auch zur eigenen Tochter gern einmal miss­mu­tig. Anna trägt den ver­lo­re­nen Elan des einstigen Auf- und Ausbruchs wie einen Mangel vor sich her.

Einigen Anteil hat daran die jüngere Schwester Frauke. Sie erscheint als Geist, im Be­wegtbild, im Foto und als Stimme; Frauke ist lange schon tot, ge­stor­ben aus freiem Wil­len am Steuer eines Autos, das sie gegen einen Baum lenkte. In der Familie wurde im­mer gefilmt und fotografiert, so dass Frauke sehr präsent wird. Sie war die of­fenere, dem Le­ben zugewandtere, vom Vater mehr geliebt, von der Schwester beneidet, die den Verlust dann doch nie verwinden konnte. Eine Reise nach Süd­amerika, wo die Schwe­stern mit Hackbrett und Gitarre als jodelnde Sensation auftreten, markiert das Maximum an Freiheit, das Frauke leben konnte und Anna weniger. Freiheit geht selbst­bestimmt und doch nur in Einklang mit anderen – das ist so etwas wie die Lehre dieses Films, der nicht zuletzt das Fehl­gehen mancher Ideen der 68er-Generation illustriert.

Wer mehr darüber erfahren, wie eine ganz spezielle, sicher nicht ganz „normale“ Familie in Deutschland gelebt hat, wie sich innerhalb der großen Geschichte dieses erstaunlichen Landes entwickelte, ist hier richtig. Ganz besonders wird dieser äußerst feinfühlig erzählte Film durch die alleinige Perspektive der Frauen. Dies ist keine reine Erfolgsgeschichte im komfortablen deutschen Wirtschaftswunder. Der Film besticht durch seine ehrliche Perspektive und schliesst Erfolge und Scheitern in jeder Generation mit ein.  

 

 

 

 

 

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