Unser letzter Film, The Zone of Interest (2023, von Jonathan Glazer) wirkt nach. Selten haben wir ein Publikum so „geschlagen“, so perplex erlebt. „Es erheben sich viele Fragen“, war ein Kommentar; viele andere waren sprachlos beeindruckt. Der auf Aufzeichnungen des später Inhaftierten beruhene „Bericht“ über das Familienleben des KZ-Kommandanten Höß, der unmittelbar neben dem grauenvollen Ort des Vernichtungslagers wohnte, in Verbindung mit der wahrhaft peinigenden Tonkulisse – all das hinterließ genau die intendierte Wirkung.
Dabei sollte man nicht den Fehler machen, den Boten zu schlagen: Es war kein schlechter oder schlecht gemachter Film, im Gegenteil, sondern der Einblick in die Banalität einer Familie, die „nur mittelbar“ am Grauen der Menschenvernichtung von Menschen teilnimmt, wobei bei genauerem Hinsehen schon der Film selbst Auswege vorschlägt.(Das Mädchen, das nachts Äpfel auf dem Lagergelände ausstreut, die Mutter der Protagonistin, die ihren Aufenthalt abrupt abbricht und heimlich abreist.)
Es geht also weniger um die Größe der Schuld der historisch Agierenden, sondern eher darum, wie wir uns selbst zu dem unvorstellbaren Grauen positionieren (das wir de facto hier auch gar nicht mehr sehen, sondern „nur“ wissen). Zumal wir aber ähnliche Tendenzen, wie etwa die Ausgrenzung von Minderheiten, heute wieder vermehrt erleben.
In meiner Einführung wies ich darauf hin, dass es kaum einen Film gibt, der die Anpassung an das totalitäre Regime so genau, ja filmisch so durchaus liebevoll ausführt. In der Woche vor dem Abend im Haus Burggarten hatte ich mir noch einmal Viscontis Die Verdammten angesehen; der Film kam mir jetzt schwülstig und maßlos in seinen Mitteln vor, als wäre mit dekadentem Pomp der NS-„Götterdämmerung“ (so der Originaltitel) irgendwie beizukommen. Manche Filme wirken auf Dauer seltsam historisch, ganz ihrer Zeit verpflichtet; andere hingegen altern nicht. Wie an dieser Stelle schon einmal geschrieben, bei Glazer liegt das Grauen allein schon im Dutt oder in der Pelzjacke von Sandra Hüller.
Ich habe noch einmal nachgesehen, ob es vergleichbare deutsche Filme zum Thema KZ und Holocaust gibt. Nach The Zone of Interest ist nun auch Der Schatten des Kommandanten (von Daniela Völker, 2024) angekündigt, der Film hat aber noch keinen Streamingdienst oder Kinostart. Hier stellen sich zwei Söhne von Rudolf Höß der Kamera. Malte Ludin hat Ähnliches mit Zwei, drei Dinge, die ich von ihm weiss (2004) mit seinem eigenen Vater versucht, ebenfalls einem ranghohen Ingenieur des Massenmords. Und noch ein anderer „Sohn“ hat sich in bewundernswerter Weise dem Schicksal gestellt, von einem Nazi-Prominenten abzustammen. Auch er tat dies in der fiktiven Rolle des realen Ausschwitz-Kommandanten Höß: Götz George, Sohn des Schauspielers Heinrich George, der nach großen Erfolgen im Nazi-Reich 1946 in einem russischen Gefangenenlager zugrunde gegangen ist. Der Autor Thomas Medicus hat ein hervorragendes Buch geschrieben, in dem er die Leben der beiden Georges ineinander blendet und dabei Götzens Loyalität, doch auch die Zweifel am Vater deutlich herausarbeitet. Zu dem Film Aus einem deutschen Leben (von Theodor Kotulla, 1987) und zu Höß zitiert Medicus Stimmen aus der deutschen Geschichtswissenschaft:
„Der ideale Kommandant eines Vernichtungslagers war ein Mann wie Höß deshalb, weil er ’stets ein dienstfertiges Ausführungsorgan‘ gewesen sei. Sein autobiographischer Bericht enthalte einen deutlichen Bezug ‚zwischen philisterhaftem Dünkel und betulicher Sentimen-talität einerseits und kältester Gnadenlosigkeit der Pflichterfüllung auf der anderen Seite‘.“
Und er zitiert aus dem Film:
“ ‚Dieser Mann war kein Killer‘, hieß es im Abspann des Films. ‚Für das damalige Hitlerregime war er ein ‚Volksgenosse‘, ein guter Deutscher: gehorsam, pflichtbewusst, zuverlässig, ordentlich, arbeitsam, kinderlieb und belastbar. Der Film Aus einem deutschen Leben zeigt, wie ein Mann dazu kommt, auf Befehl ein Konzentrationslager zu bauen und darin eine Tötungsanlage zu installieren, die so rationell arbeitet wie das Fließband einer Fabrik‘.“ (Thomas Medicus, Heinrich und Götz George. Zwei Leben. Rowohlt Berlin 2020, S. 255, 256)
Die Banalität des Pflichterfüllens ist es, die bei Glazer schaudern macht. Das betrifft den Mörder am Schreibtisch genauso wie seine Frau, die nichts anderes tut als die Familie zu versorgen und dabei nur die Hausangestellten gelegentlich etwas herumschubst. Das Ergebnis ist ein ordentlich aufgeräumtes Haus mit einem sehr schönen Garten. Es ist eben nicht nur das Böse, das banal ist, sondern auch das sogenannte Schöne, jedenfalls in diesem Zeitkontext. Zum Schönen kann ich noch einen neuen Film über das ewige Phänomen Leni Riefenstahl empfehlen, der in den nächsten Tagen in Mainz anlaufen wird. Er stammt von Andres Veiel, der das Kinopublikum bereits mit Blackbox BRD (2001, über die RAF und ihre Opfer) sowie Die Spielwütigen (2004, über vier angehende Schauspieler) sowie Beuys (2022) in der Gattung Dok.-Film glücklich gemacht.
Riefenstahl läuft also jetzt im Kino und im Januar nochmals in einer Filmreihe zum Thema Rechtsextremismus, die wir an der Hochschule gemeinsam mit dem journalistischen Seminar der Gutenberg-Universität organisieren. Hier gibt es stets ganze Filme zu sehen und am nächsten Morgen eine Masterclass mit dem Regisseur sowie Hochschuldozenten.
Hier schon einmal die Termine:
Do., 21.11., 18:45 Uhr Film Das Meisterspiel von Lutz Dammbeck, D 1998. Kino in der Muschel auf dem JGU-Gelände, Johann-Joachim-Becher Weg 23. Eintritt frei!
Fr. 22.11. Masterclass zu Lutz Dammbeck. JGU Hörsaal 00 181 – P 5
Do., 28.11. 18:00 Uhr. Film EInzeltäter (Teil 1) von Julian Vogel. Capitol Kino Mainz, Neubrunnenstraße
Fr. 29.11., 9:00 bis 12:00 Uhr. Masterclass mit Julian Vogel. JGU Hörsaal 00 181 – P 5
Do. 23.01., 17:30 Uhr. Riefenstahl von Andres Veiel. Capitol Kino Mainz, Neubrunnenstraße
Fr. 24.1., 9:00 bis 12:00 Uhr. Masterclass mit Andres Veiel. JGU Hörsaal 00 181 – P 5