Kein Titel, der zum Zusehen einlädt. Und das drei Stunden lang. Drei Mal werden wir dann auch mit an einem Grab sein, genauer, in einem Bestattungshain, und jede dieser Zeremonien lässt einen über die Fatalität des Todes hinaus schaudern: Nicht nur wird hier jeweils ein Mensch in profaner Weise zur Ruhe gebettet, die Lebenden führen ihr Hiersein auf Erden in sehr bizarrer Weise fort.
Wie immer: Der Tod ist keine Lösung. Die Lösung wäre eine funktionale Familie, in der sich die Alten um die Jungen Sorgen machten und die Jungen für die Alten sorgten. So funktioniert die Familie Lunies aber nicht. Der Regisseur Matthias Glasner bietet uns seinerseits durchaus Orientierung, er erzählt die Entwicklung der Eltern und Sohn sowie Tochter Lunies in sechs Kapiteln. Die erste dreiviertel Stunde ist den Eltern gewidmet, der disziplinierten, aber durchaus schon verzweifelten Mutter Lissy (Corinna Harfouch) und ihrem dementen Mann (Hans-Uwe Bauer), der immer mal lichte Momente hat, dennoch in ein Heim muss. Immerhin springt Lissy eine warmherzige und patente Nachbarin zur Seite – die einzige durchweg positive Figur des ganzen Films.
Als die Geschichte der Eltern fast auserzählt ist, springt der Film in der Chronologie zurück und bringt den Sohn Tom Lunies ins Spiel, Lars Eidinger als Dirigent eines Berliner Orchesters, das gerade ein schwieriges Stück seines Freundes Bernard (Robert Gwisdek) einstudiert. Dieser ist sehr dahinter her, dass die Symphonie genau nach dem Willen ihres Komponisten einstudiert wird. Bald muss man aber feststellen, ja: erlebt in tragischer Weise mit, dass dieser Künstler noch ganz andere Gewichte mit sich herumträgt. Tom erträgt die Launen seines so überperfekten wie depressiven Freundes stoisch und bleibt ihm durch alle Widernisse treu. Er hat selbst eine Last am Hals, die ihn ähnlich beschäftigt: Die Frau, die er zu lieben glaubt, hat sich von einem anderen ein Kind machen lassen, das Tom in einer Art verzweifelten Co-Parenting durchs erste Lebensjahr begleitet. Für all diese labilen Verhältnisse scheint der Handlungsort Berlin ein guter Nährboden, zumal im dritten Kapitel noch Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) auf den Plan tritt, deren Haltlosigkeit dem Ganzen die tragische Krone aufsetzt. In Eidingers Spiel ist immerhin nicht nur der geforderte und genervte Berliner Künstler gut angelegt, sondern auch etwas von einem norddeutschen Bauernsohn, den es in die Metropole verschlagen hat, um trotz aller Widrigkeiten ein Stück Gelassenheit zu bewahren. In Tár hat man zuletzt gesehen, wie hochgradig nervös Dirigententum in Berlin machen kann. Dem Dirigenten von Sterben, und auch nur ihm, ist hingegen ein kleines Happy End vergönnt.
Auf dem Land hatte sich Tom einem gnadenlosen Gespräch stellen müssen, indem sich Mutter und Sohn quasi aus Versehen, dann aber immer ehrlicher um die Ohren knallen, dass sie sich – Mutter und Sohn! – nie leiden konnten. Man meint hier am Tiefpunkt der Familiengeschichte angekommen. Dann beweist die Zahnarzthelferin Ellen, dass es immer noch schlimmer geht.
Lilith Stangenberg als Ellen ist so etwas wie das negative Kraftzentrum des Geschehens. Sie sei Zahnarzthelferin geworden, sagt sie, um der schillernden Karriere des Bruders etwas Wirksames entgegenzusetzen. Sie hat im Alkohol einen falschen Freund. Und sie beginnt eine Affäre mit dem Zahnarzt Sebastian, Ronald Zehrfeld, der mit seinem massiven Körper und dem Bernhardinerblick eigentlich genau der Richtige wäre, hätte er nicht selbst eine Familiengeschichte wie einen Sack voll Steine auf dem Rücken.
Ein feiner Ensemblefilm aus Deutschland, mit einer ausgesuchten Riege von SchauspielerInnen und Dialogen, die einen mitunter staunen lassen. Lilith Stangenberg ragt hier noch einmal heraus in ihrer lakonischen Direktheit. Was diese Darbietung betrifft, habe ich von Männern und Frauen, mit denen ich über den Film gesprochen habe, Unterschiedliches gehört: Männer fanden diese Frau aufregend, Frauen eher niederschmetternd. Beide Aussagen sind, weil sie die Wirkung der Figur betreffen, Qualitätszeugnisse.