Verschwinden. Im Fall sehr früher Filmen ist das Phänomen ja eher die Regel als die Ausnahme. Aber können auch neuere Filme einfach so verschwinden? Anfang der Achtziger sah ich in meiner Zivildienstzeit in München Gibbi Westgermany, der mir so gut gefiel, dass ich gleich zwei Mal in einer Woche im Kino war. Danach “verschwand” der Film. Jahre darauf fand ich immerhin den Soundtrack mit den suggestiven und zarten Songs von Paul Millns sowie etwas Underplay, dem Italohit Mamma Leone und einem einfachen, doch eindringlichen Riff von Kiev Stingl. Die CD mit dem Sound von Gibbi Westgermany höre ich seither immer mal wieder; dazu Gesprächsfetzen, zu denen sich auch Bilder des Films einstellen, zumindest bilde ich mir das ein: Jörg Pfennigwerth als nach Hamburg heimkehrender Seefahrer und seine Frauengeschichten, Eva-Maria Hagen als die Mutter, die Gibbi auf ungute Weise liebt, Eric Burdon als Freund und Ratgeber. Und Hamburger Lokalkolorit, angefeuert von punkiger Energie.
Recherche. Der unermüdliche Michael Töteberg fragte nach Hamburgfilmen. Darauf fragte ich meinerseits einen befreundeten Hamburger Kinobetreiber, ob er sich an den Film erinnern könne. Das ja, und der Kinomensch hatte auf Anhieb auch einige Anekdoten zu Jörg Pfennigwerth parat, den Darsteller des Gibbi, der im Jahr 2008 verstorben ist. Daraufhin noch neugieriger geworden, besorgte ich mir die Telefonnummer der Regisseurin des Films, Christel Buschmann, die mit ihrem Mann Reinhold Hauff in München lebt. Frau Buschmann war am Telefon aufgeschlossen, versprach mir auch den Film, der am Münchner Filmmuseum in einer Kopie zugänglich sei, und schickte mir vorab ein aufwendiges Steelbook ihres zweiten Films mit Eric Burdon, Comeback, der bei Freunden des 60er-Rock wohl Marktchancen hatte. Von Gibbi sah und hörte ich nichts.
Verschwinden 2. Die Regisseurin des Films, Christel Buschmann, hatte einen guten Start, mit ihren vielen Talenten war sie eine echte Hoffnung im aufgebrochenen Neuen Deutschen Film. Vielleicht konnte sie aber zuviel: Ein Drehbuch für Alexander Kluge, eines für ihren Ehemann Reinhard Hauff, später Dokumentarfilme und diverse Fernseharbeiten. Sie war Produzentin, Dozentin, später etwas versteckt hinter ihrem Mann, der als Regisseur von Filmen wie Messer im Kopf, Linie 1 und Stammheim im Kino reüssierte und darauf die Leitung der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin übernahm. Vielleicht wollte Frau Buschmann nicht wirklich eine Karriere, vielleicht waren ihre Themen für den inneren Kreis um den Filmverlag der Autoren auch zu emotional, zu weiblich.
Auftauchen. Welch eine Freude, dieser Tage in der Frankfurter Allgemeinen einen großen Artikel von Dominik Graf vorzufinden, der das Erscheinen einer DVD mit Gibbi Westgermany bei Filmjuwelen bestätigt. Graf, der nimmermüde, hellsinnige Begleiter des Deutschen Film, schreibt: “Was tritt einen hier plötzlich quasi von hinten, welche Geister der westdeutschen Endsiebziger erscheinen und zeigen hier ihre unerwartete, weil vergessene Schönheit, ihren Lebenshunger, ihre Verzweiflung mit solchem Stolz und manche von ihnen mit stolzer Hässlichkeit, wie es einem im deutschen Konsenskino nicht mehr begegnen will. (…) Wie erzählen? Manche glaubten damals an eine Heilung des Kinos durch Proletariatsabenteuer oder dokumentarische Züge durch die Prekariatsgemeinde, Heilung durch die ungeschminkte Nähe zu den Menschen, die das Establishment täglich übersieht, zu Gelegenheitsarbeitern, Tagedieben, Kleingangstern. (…) Die alten Filme bilden oft die Schichten, auf denen wir herumturnen, ohne uns der subterran existierenden Linien bewusst zu sein, die von den Menschen [von] einst direkt zu uns führen. Man bräuchte Infrarotkameras für die Seele, um die abgelagerten Umrisse unserer ererbten Psychosen zu finden. Die alten Filme sind wie Gefühlsarchäologie, sie wissen oft mehr. (…) Gibbi Westgermany hat soeben das Licht der Welt wiedererblickt, und man kann sehen und feiern, wie weit Christel Buschmann, die Autorin und Regisseurin, sich 1979 im Hamburger Kiez in die Brachen der Seele wagte. Wie tröstlich.” (F.A.S., Nr. 30, 28. Juli 2024)