Zum letzten Mal in diesem Jahr laden wir in ein improvisiertes Kino ein. Und dieses Mal, was für eines: Das historische E-Werk der Rheinhessischen in Ober-Ingelheim haben wir als unsere kurzfristige Heimstatt schon einmal erprobt, durch ein kleines Filmfest „Kino unter Strom“. Diesmal sind Frauen unser Thema. Es würde uns gefallen, diese gute Hälfte der Menschheit gebührend zu würdigen – doch leider, wie hieß es schon in der „Dreigroschenoper“, die Verhältnisse, sie sind nicht so. Daher berichten unsere drei Filme von Staaten oder staatsnahen Systemen, an denen etwas gewaltig faul ist. Und es sind in allen drei Fällen besonders mutige Frauen, die mit Enthusiasmus und Leidenschaft für den Aufbruch in eine neue Zeit sorgen wollen.
Holy Spider (Dänemark, Deutschland u.a. 2022), Donnerstag 14. November, 18 Uhr Einlass, 19 Uhr Beginn.
Der im dänischen Exil lebende Iraner Ali Abbasi hat einen düsteren Film über seine Heimat gemacht. Gedreht wurde im jordanischen Amman, viele Exil-Iraner berichten aber, dass ihre Heimat in diesem Film überaus authentisch aussähe.Um diesen Eindruck zu verdichten und möglichst viel über die Hintergründe zu erfahren, haben wir Frau Narges Sarjoughian eingeladen, die aus dem Iran geflohen ist und selbst hier in Deutschland noch Repressalien ausgesetzt war. Sie wird uns vom Schicksal nach Freiheit und Selbstbestimmtheit dürstender iranischer Menschen berichten.
Der Film selbst geht über einen Serientäter in einer großen iranischen Stadt, der scheinbar wahllos eine Reihe von Straßenprostituierten tötet. Im Laufe der Erzählung verstehen wir, dass dieses Vorgehen religiös motiviert ist, weil nicht das ganze Land im Sinne des Täters so unbedingt den Gesetzen Allahs gehorcht, wie es sich der Mann wünscht: Dieser Mann, „der Spinnenmörder“ genannt, begeht seine Untaten aus politisch-religiöser Überzeugung, die aber ein Teil der Bevölkerung mit ihm teilt. Auch mancher Polizist pflegt ganz andere Interessen als die Mordserie schnellstmöglich aufzuklären.
Das ruft die Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) auf den Plan, die von den Morden berichten soll. Die mutige Frau stellt sich selbst als Lockvogel zur Verfügung, unterstüzt von einem Kollegen. Neben dem Täter, dem sie bald allzu nahe kommt, setzt ihr besonders ein einzelner Polizist zu.
Holy Spider ist ein Spiegel der katastrophalen und menschenunwürdigen Zustände im Iran, die bereits Hunderttausende in die Flucht getrieben haben. Wir veranstalten diesen Abend in Zusammenarbeit mit dem Büro für Vielfalt und Chancengleichheit der Stadt Ingelheim zum diesjährigen Orange Day.
Um einen Aufbruch, um eine Machtablösung geht es auch in unserem zweiten Film. Dies ist am Freitag, 15. November: In einem Land, das es nicht mehr gibt von Aelrun Goette (D 2022). Einlass ist wieder um 18:00 Uhr, Beginn 19:00 Uhr.
Die seit 1989 wiedervereinigten Bundesländer machen vielen Menschen derzeit mehr Kummer als Freude, wird dort von vielen WählerInnen doch offenbar abgelehnt, was die meisten „Wessies“ am Erfolgsmodell des demokratischen Zusammenlebens schätzen gelernt haben und beibehalten wollen.
Daher blicken wir mit Alrun Goette noch einmal zurück in das „Land, das es nicht mehr gibt“: die DDR. Was uns Goette zeigt, erscheint uns nicht ganz so sektiererisch wie in Jan Hecks Doku „Schleimkeim“ (2023) die dort existierende Punk-Szene. Bei Goette geht es immerhin ebenfalls um ein westlich inspiriertes Modell, nämlich die Haute Couture der DDR, die hier nicht immer ganz heruntergebrochen auf die wahren Wünsche der werktätigen Bevölkerung dargestellt erscheint. Mit den „Werktätigen“ macht Suzie schmerzhafte Erfahrungen, nur weil sie einmal in einem falschen Buch gelesen hat: Die junge Frau wird in ein Kabelwerk versetzt und muss Löcher in Eisen stanzen statt Literatur zu studieren. Den Weg heraus aus dieser Sackgasse weisen ihr Kreative aus der Modebranche um die DDR-Modezeitschrift Sibylle sowie ein leicht gönnerhaft anmutender Professor. Suzie schafft ihren Absprung. Und der Film schafft es, uns auf ihrem Weg viel gute Laune und ein wenig Hintergrund über durchaus schmerzhafte historische Ereignisse zu vermitteln.
Nach diesem Aufatmen durch einen etwas leichtgängigeren Film geht es am Samstag, dem 16. November noch einmal ums Ganze, in All the Beauty and the Bloodshed von Laura Poitras, USA 2022. Einlass ist wieder 18 Uhr, Veranstaltungsbeginn 19 Uhr.
Nan Goldin ist als Fotografin bekannt geworden, und zwar vor allem als Chronistin einer bestimmten Community. Ohne sie gäbe es keine vergleichbare Erinnerung an den frühen New Yorker Punk und auch nicht die ersten Bilder der seit kurzem so genannten LGBT-Subkulturen. Dass „Pop“ gern mit neuen Definitionen des Körpers und der sogenannten sexuellen Befreiung zu tun hat, wusste man schon seit Elvis Presley und Mick Jagger; spätestens mit Patti Smith und David Bowie wissen wir aber auch, dass extrovertiertes Auftreten nicht nur Show ist, sondern auch Trends starten kann. Goldin hat nicht vor allem erfolgreiche Performer fotografiert, sondern Außenseiter und die Schattenseiten des Andersseins. Auch ihr selbst war es nie darum, der Star der Fotoszene zu werden, der sie heute ist.
Der Film legt die These nahe, dass diese Vorliebe für Außenseiter zum Teil aus der eigenen Familiengeschichte kommt. Einfühlsam und behutsam dokumentiert die Filmemacherin Poitras den tragischen Tod der Schwester Barbara Goldin in einer Vorstadtsiedlung der 1980er Jahre. Nan Goldin war zu diesem Zeitpunkt selbst erst elf Jahre alt. Ein weiteres Thema ist die Auseinandersetzung mit einer bis dato unbekannten Krankheit: AIDS.
Und der Film widmet sich prominent noch einem anderen Strang der amerikanischen Gesundheitsfürsorge, einem Pharma-Riesen, dem die Aktivistin Goldin Verheimlichung und Verharmlosung im Verkauf von abhängig machenden Opoiden vorwirft. Da die Inhaberfamilie Sackler nach amerikanischem Brauch bedeutende Museen finanziell trägt, kommt der bewegende, so großartig recherchierte wie gemachte Film auf einem Umweg auch noch einmal zum amerikanischen Umgang mit Kunst zurück.
Wir danken der Rheinhessischen für das großzügige Überlassen des Alten E-Werks für unser FrauenFilmFest!