Der Maler und sein Modell ist ein Lieblingsmotiv der Kunstgeschichte. Wobei der Maler oft selbst nicht sichtbar wird, weil er ja malt, also hinter oder sogar außerhalb der Leinwand bleibt, während das weibliche Modell für ihn posiert: angezogen und sittlich, wie bei Vermeer im bürgerlichen Holland, oder nackt und sinnlich wie die eine oder andere Venus, Susanna, Eva oder Nana. Solche Bilder sind heute noch in allen großen Museen der Welt zu sehen. Für Gender-Theoretikerinnen war und ist diese Blickbeziehung – der Mann als aktiver und dominanter Part, die Frau als das angeschaute und zur Passivität verdammte Objekt – seit den 1970er Jahren eine permanente Herausforderung.
Während bis heute viele Filme genau dieses Stereotyp reproduzieren – “schaffender” Mann, sei es als Regisseur, sei es als voyeuristische Betrachter der schönen Frau – gibt es im Kino, anders als in der Malerei, frühe Ausnahmen: der Aufstand der fotografischen Objekte in Blow-up (1966), die derart zu Subjekten werden, oder die Protagonistin von La Belle Noiseuse/Die schöne Querulantin (1991), die als Nacktmodell nochmals mit einem Maler kämpft; sie gewinnt diesen Kampf sogar. Niemand aber ist in der Darstellung des Konflikts bisher so weit gekommmen wie Céline Sciamma mit ihrem preisgekrönten Portrait de la jeune fille en Feu/Porträt einer jungen Frau (2019), der vor der Pandemie noch kurz im Kino zu sehen war und nun im Netz steht.
Sciammas List ist es, fast ausschließlich Frauen auf der Leinwand agieren zu lassen. Nur ein- und ausgangs sind Männer überhaupt zu sehen: als Lakaien. Der Maler ist in diesem Film also eine Malerin, so wie das Ganze von einer Regisseurin inszeniert wurde. Dennoch spielt der Geschlechterkonflikt eine tragende Rolle, denn die eine Frau soll die andere malen, damit ihre Mutter sie damit einem Mann im fernen Mailand anpreisen kann: Er soll Héloïse (Adèle Haenel) nach dem bloßen Augenschein des Gemäldes als Ehefrau akzeptieren. Sie spielt da nicht mit.
Wir befinden uns im späten 18. Jahrhundert, in einem Kostümfilm, der selbst hinreißende Bilder gegen solchen Missbrauch des Bildes setzt. Immer wieder gehen die beiden jungen Frauen, Malerin und Modell, aus dem feudalen Haus, indem sie Wochen miteinander verbringen, hinaus an den tosenden Atlantik der Bretagne. Hier draußen zählen Worte wenig; die Annäherung, das Sich-Kennenlernen und schließlich die Liebe bahnen sich vorsichtig an. Dem folgt die Kamera. Wenn es je so etwas wie einen eigenen weiblichen Blick im Kino gibt, dann ist hier zu sehen, im Nachziehen der Linie eines Nackens, in der Blässe jugendlich-verborgener Haut, in nicht genormten Eigenheiten jener Art, an der sich Liebe entzündet.
Wohlgemerkt, wir befinden uns in einer Erzählung, die einem ganz eigenen Rhythmus folgt, einem sehr langsamen meistens. Höhepunkte dramatischer Art sind rar – dann aber opulent. Das lässt sich an den lediglich drei Stellen darlegen, an denen Musik ertönt: Auf einem Fest, an dem viele Frauen ausgelassen miteinander feiern, vor allem im Schlusstableau des Films, in dem sich Héloïse im Rückblick der Liebe zu Marianne erinnert, die da längst vorüber ist. Man sieht die Liebe auf ihrem Gesicht, während sie im einem Konzertsaal Vivaldis “Sommer” hört. Dieses Stück hatte sie, drittens, einst mit Marianne am Cembalo geprobt, und ihre Erschütterung im aktuellen Moment ist offensichtlich durch die Erinnerung an die verflossene Freundin hervorgerufen. Allein für diesen Augen-Blick lohnt sich der Film.