Ein Juwel von einem Film, nach einem Bestseller, eine verzwickte, verwinkelte Geschichte über die Suche nach Wahrheit, die bekanntlich umso mehr Gesichter hat, je mehr Menschen auf sie schauen.
Egoyan, der armenisch-kanadische Regisseur, hat es geschafft, die Handlung des 300 Seiten-Romans von Rupert Holmes zu einem runden Film zu verdichten, der nie zuviel erklärt. Jede Figur hat ihr Geheimnis und ihren individuellen Antrieb, jede/r versucht andere zu betrügen. Am Ende bekommt nur eine Randfigur, die Mutter des Opfers, annähernd das, was sie sich wünscht. Die Protagonisten sind dagegen typische Bewohner des Egoyan-Universums: getrieben, für sich und entfremdet. Und das, obwohl oder gerade weil sie in Where the Truth Lies intensiv am Glücksversprechen des Show-Business, des Fernsehens oder auch des journalistischen Ruhms schnuppern.
Lanny (Kevin Bacon) und Vince (Colin Firth) sind in den späten 50ern ein erfolgreiches Entertainer-Duo, das sich perfekt ergänzt: Der schrille Lanny provoziert, Vince moderiert und gleicht aus. In einem 39-Stunden-Telemarathon sammeln die beiden Spenden für poliokranke Kinder. Am Abend, in der Hotelsuite in Miami, ist dagegen Entspannung angesagt: mit Champagner & Pillen, die sowieso pausenlos eingeworfen werden, und durch eine attraktive Studentin, die als Kellnerin jobbt und am nächsten Morgen tot sein wird.
Wie die Leiche in die Badewanne eines Hotels an der Ostküste kam, was die Mafia und vor allem: Was Lanny und Vince damit zu tun hatten, versucht die junge Journalistin Karen (Alison Lohmann) 15 Jahre später herauszufinden. Als Kind war sie gehätschelter Star der Polio-Gala, und noch immer ist sie fasziniert von den beiden Entertainern, die nun seit langem getrennte Wege gehen. Leider kann sie ihre berufsbedingte Neugier nicht von der persönlichen Faszination für Lanny trennen. Der agiert nach wie vor charmant; doch hinter der Fassade ist er haltlos und zynisch. Auch den zurückgezogen lebenden Vince stöbert Karen auf. Diese Begegnung hat die heftigsten Folgen.
Wenn man Where the Truth Lies mit allen Filmen vergleicht, die wir Filmfreunde bislang gespielt haben, kommt ihm zweifellos Woody Allens Match Point am nächsten. Die Männer halten sich für clever, doch die Frauen sind durchtrieben: Bei der Durchsetzung ihrer Ziele spielen Geld & Sex die größten Rollen. Als Zuschauer weiss man nie so genau, wen man sympathisch finden soll. Die Geschichten nehmen zahlreiche, kaum vorhersehbare Wendungen. Das hat wohl auch etwas Symptomatisches für das Jahr, dem beide Filme entstammen – 2005, mitten im entfesselten Kapitalismus der Nuller Jahre.
Where the Truth Lies war ein Erfolg auf Festivals und im Arthouse, doch die amerikanische Kritik schrieb heftig gegen den Film an. Fehlende Chemie zwischen den Figuren, zuviel expliziter Sex, eine schlechte Hauptdarstellerin waren ein paar der Vorwürfe. Tatsächlich gab es danach einen Bruch in der Karriere Egoyans, der vorher, mit The Sweet Hereafter (1997), ein phänomenales Versprechen auf seine Zukunft abgegeben hatte.
Tatsächlich lebt Where the Truth Lies von Passagen, in denen über die Stränge geschlagen wird, in denen Exzess regiert. Vince setzt zwei Frauen unter Drogen und schaut ihnen beim Sex zu, während “White Rabbit” ertönt und die kindische Unschuld von “Alice im Wunderland” torpediert. Perversion oder mindestens sexuelle Devianz werden zum Schlüsselbild: Die Szene ist der Spiegel oder auch die Rache für Vince an Lanny, der ihm in einer ähnlichen Situation Grenzen aufgezeigt hatte. Dass Atom Egoyan im Jahr 2005 auch die Machenschaften eines Harvey Weinstein schon im Detail paraphrasierte, lässt den Film heute aktuell erscheinen. Kaum jemand im ‘offiziellen’ Hollywood wollte damals so etwas ahnen, geschweige denn schon sehen.