Irgendwann standen wir auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris, bei Oscar Wilde und Chopin, und, wichtiger für uns, am Grab von Jim Morrison. Eine Spanierin war mit uns da, sie hatte eine Blume für den Sänger der Doors dabei. Sozusagen gesamteuropäisch beklagten wir die herumflatternden Absperrbänder, die Lieblosigkeit, den unwürdigen Verhau rund um das Grab.
Doch vielleicht hat James Douglas Morrison hier nur das bekommen, was ihm viele konservative Amerikaner an den Hals wünschten: War er doch der erste, der mit dem aufräumte, was der Schriftsteller Philipp Roth die “Ekstase der Scheinheiligkeit” genannt hat. “Als ich damals in der Bibelschule war, gab es eine Person, die vorschlug, das man den lieben Gott mit Gebeten erweichen könne. (SCHREI) Man kann den lieben Gott nicht mit Gebeten erweichen!” (Petition the Lord with Prayer, The Doors in Concert).
Oliver Stones Blockbuster The Doors (1991) erzählt den Mythos der Doors. Tom DiCillos When You’re Strange zeigt auf, wer und wie die Doors waren: Wie sie zueinander fanden, wie die Musik entstand, wie sich Morrison von den drei anderen entfernte, in welche Parallelwelten er floh – am Ende nach Paris, um dort zu sterben. DiCillo, durch skurrile Komödien bekannt geworden, entwickelt seinen Stoff ausschließlich an authentischem Material. Daher ist sein Film nur 78 Minuten lang geworden, mehr verwendbare Originalaufnahmen gab es nicht. Was man mit diesem Film erlebt und erfährt, ist die noch immer ungebrochene, pure Energie der Musik der Doors.
Keine Interviews, kein Retro-Chic, keine Schnörksel. Einzig eingeschleustes Material sind Ausschnitte aus dem Experimentalfilm Hwy von 1969, in dem sich Morrison, der ehemalige Filmstudent, selbst als Drifter durch den amerikanischen Westen in Szene setzte. Ein Roadmovie, einst vielleicht die Vision einer existenziellen Alternative für den Getriebenen selbst, der vor den Dämonen in seinem Leben aber nie floh, nie Zuflucht im Mythos des Rockstars suchte. Man erkennt Morrison gar nicht recht außerhalb des Zirkels der Band. Sieht man dann, wie er einem überfahrenen Fuchs ein Handtuch über den röchelnden Kopf legt, erscheint der Mann mit einem Mal in humanem Licht.
Ansonsten Extravaganz als Show, “exposure”, wie es die Amerikaner nennen. Gesten der Rebellion – gegen die Polizei, gegen die Band, und vor allem dauerhaft gegen die eigene Familie. Jim erklärt sie für tot. Man liest den legendären Brief mit, in dem der Vater Morrison 1966 den Rat gab, mit der Musik und dem Gesang aufzuhören, Jim fehle jedes Talent in dieser Richtung. Morrison sr. war zu dieser Zeit der Kommandeur eines Flugzeugträgers, von dem aus Starfighter in die Kampfgebiete Vietnams starteten. Unmittelbar daran geschnitten im Film folgt Jims Frage an ein Konzertpublikum: “Would anybody like to see me genitals?”
Von solchen Konfrontationen lebt die kollektive Erinnerung an die Zeit. Die Kultur schlug am Ende der 60er Jahre um in die Politisierung der beiden Pop-Medien Film und Musik. Nicht der Film als Korrelat der Wirklichkeit, jedoch die Musik zeigte sich von dieser Rolle überfordert. When You’re Strange zeigt nicht zuletzt auf, dass Musik nur als Medium des individuellen ästhetischen Protestes funktioniert. Kollektiv erlebt, schafft sie Öffentlichkeit, aber auch einen oft eher stumpfen Konses.
Was bleibt haften? Morrisons Wahn, der Geniales auf den Weg brachte; die zurückhaltenden anderen drei Doors, musikalisch mit ihrem Sänger absolut auf der Höhe; ein Korpus von sechs Platten, der innere Treibstoff der unruhigen Band-Biographie wie des Films. Nur 54 Monate gab es die Doors, klärt uns die Voice-over auf, die man unbedingt im Original hören muss: Johnny Depp verlieh seine Stimme als sachlicher, doch absolut involvierter Chronist.
Am 8. Dezember würde Jim Morrison 77 Jahre alt. Was er heute tun würde, muss man sich nicht vorstellen. Mit When You’re Strange ist er unter uns.