Auf DVD und (gegen Aufpreis) zu streamen.
Man muss die Figuren dieses Films einfach mögen. Im Zentrum steht, obwohl er bei weitem nicht die meiste onscreen time hat, ein exzentrischer deutscher Offizier des Ersten Weltkriegs, gespielt von Erich von Strohheim. “Von”, wie er in Hollywood schlicht genannt wurde, lehrt uns zu Beginn das schöne Wort “Gabelfrühstück”. Und dann insbesondere, wie man allzeit Würde bewahrt, wenn man, wie dieser Major von Rauffenstein, das Schlimmste und auch das Schönste schon hinter sich hat. “Überall Verbrennungen, an zwei Stellen die Wirbelsäule frakturiert, eine Silberplatte im Kopf, und die linke Kniescheibe auch aus Silber. Ja, ich bin durch den Krieg zu bemerkenswerten Reichtümern gekommen.”
Reich ist tatsächlich der jüdische Mitgefangene Rosenthal, der seine Freunde im Lager der Deutschen, das von Rauffenstein befehligt, mit kostbaren Paketen verwöhnt, die seine Familie aus Paris schickt. Er ist Teil einer Gruppe von Franzosen, die uns mehrfach begegnen, allen voran der mutige Maréchal (Jean Gabin), ein aristokratischer Offizier (Pierre Fresnay) und der Komiker Carette. Dann sind da etwas einfältige Russen, die das Schicksal als Kriegsgefangene der Deutschen teilen; es gibt Engländer, denen es genauso ergeht, die aber ihren Humor nie verlieren; schließlich ist da noch ein deutscher Aufseher, den die Franzosen als ihren “Arthür” fast schon ins Herz schließen.
Renoir beschreibt die Welt nicht vertikal gegliedert, nach Nationalitäten oder Religionen, sondern vertikal, in soziologischen Schichten. Durch den Krieg, so die These dieses Films, werden nun aber alle gleich, Wächter wie Bewachte, Sieger wie Verlierer. Nur das Kriegsglück ändert sich, wie die Schlacht um Douaumont/Verdun zeigt: Maréchal lässt zu dessen Rückeroberung die Marseillaise spielen und büßt die Tat mit langer, verschärfter Einzelhaft. Der Regisseur Curtiz hat die Sequenz später für Casablanca geklaut.
Und eine Liebe gibt es auch, gegen Ende, zwischen dem ausgebrochenen Maréchal und einer deutschen Bäuerin: In einem zerschossenen Hofe/kämmte sie ihm sein Haar, heißt es bei Brecht. Hier wird der Film mit einem Mal süßlich. Die Liebe muss dann wieder enden, wegen des anhaltenden Krieges. Maréchal und Rosenthal entkommen schließlich über die Grenze zur Schweiz. Was stehen bleibt, neben den Grenzpfosten, ist die titelgebende große Illusion, die Menschheit mit der Hilfe von Waffen befrieden zu können.
Der Film wurde am Festival in Venedig 1937 prämiert. Mussolini ließ ihn als “zu pazifistisch” verbieten. Renoir zog die Konsequenzen und inszenierte mit La Règle du Jeu (1939) einen Tanz auf dem Vulkan, in dem erneut ein heterogenes Ensemble aus Aristokraten, Abenteurern, treuen Bediensteten und kleinen Gaunern die große Welt nachstellt. Liebesgeschichten, die fehl laufen – inszenatorisch eine Huldigung an den Vater des Regisseurs, den Impressionisten Pierre-Auguste Renoir, bei dem die Konturen des Wahrnehmbaren, oft des Sujets schon verschwammen. Im Film des Sohns wirft die Kamera ganz ungeleckte Blicke auf die gesellschaftliche Bühne wie hinter die offiziellen Kulissen – mit einer Wahrhaftigkeit, wie sie nur der Filmkunst möglich ist.
Wenn La Règle du Jeu ein ganz zeitgenössischer, moderner Film ist, bleibt La Grande Illusion sowohl der zugeneigte Blick zurück, auf die untergehende Ständegesellschaft, den Talmiglanz der Uniformen, die Solidarität der kleinen, in der Not so großen Leute, wie auf eine zukunftsgewandte Lösung, die nur vom humanen Engagement des Einzelnen für die Gemeinschaft leben würde. Ein Film mit einer Weihnachtsbotschaft, wenn man so will.
Jean Renoir emigrierte. In den USA konnte er seine französischen Erfolge nicht fortsetzen. In Frankreich erkor ihn unterdessen eine jüngere Generation zu ihrem patron. Es ist interessant, La Grande Illusion nicht nur als Werk eines großen Unabhängigen, sondern, in seiner Drei-Akte-Struktur, auch als Ergänzung des klassischen amerikanischen Studioprodukts zu beleuchten. Der Typus ‘Jean Gabin als mutiger Freiheitskämpfer’ prägte Hollywoodfilme für einige Jahre. Eine faszinierende Wiederkehr feierte auch Erich von Stroheim in der Rolle des Geistesaristokraten, der einer neuen Zeit mit überkommenen Werten entgegen tritt, in Billy Wilders Sunset Boulevard (1950).