FILMTIPP #39: LEONARD COHEN, LIVE IN LONDON. SONY MUSIC, 2009.

Auf DVD.

Seine Musik taucht an den unvorhersehbarsten Stellen auf, in Filmen, von de­nen man eine solche Begegnung nie & nimmer erwarten würde. Den gewich­tigen Auftakt macht der Spätwestern McCabe and Mrs. Miller (Robert Alt­man, USA 1971), der im Ganzen mit den Balladen des kanadischen Sin­ger-Song­wri­ters, damals im Zenit seines Ruhms, unterlegt ist. Auch den Neuen Deut­schen Film be­rei­cher­te Cohen zweimal, in Werner Her­zogs ab­strak­ter End­zeit­vision Fata Morgana (1971) und durch einen hef­tigen Co­hen-Flirt Rainer Werner Fass­binders, der über drei Filme der Jahre 1974/75 ging.

Bis heute wird Cohens Musik gern im Kontrast zu ganz anders anmutenden Bild­ern verwendet. Sie taucht im Verbund mit den unsanften Na­tu­ral Born Killers (1994 ) Quentin Tarantinos ebenso auf wie in einem Clip zu dem wunder­bar düsteren Fast-Noch-Stummfilm Vampyr (1932, von Carl Theodor Dreyer). Die anrüh­rendste und breitenwirksamste Begegnung ist der Liebes­schmerz des Ogers im ersten Shrek (2001), den Cohens “Hallelujah” unter­malt: nicht das Original, auch nicht das erfolgreiche Cover von Jeff Buckley. Hier singt John Cale, der “hohe” Vokalist von Velvet Underground.

Es lohnt dennoch, den Meister selbst aufzusuchen. Für alle, die nicht das Glück hatten, Cohen (1934-2016) auf der sprichwörtlichen Abschiedstour zu sehen, die über die letzten Jahre dieses Lebens ging, ist jenes Glück auf ei­ner DVD festgehalten und verstetigt. Gestützt von neun herausragenden Musi­kern, er­lebt man hier den Querschnitt des Gesamtwerks. Nicht zu verkennen ist, dass Cohen nach den ersten vier Platten musikalisch einen riesigen Sprung ge­macht hat, auch wenn “Susanne” und weitere La­ger­feuer­klas­si­ker immer noch zum Vortrag kommen. Für sie gibt es den größten Applaus.

Allemal spannender ist der späte Künstler, der den Blick auf das wagt, was bevor­steht, das Alter und den Tod: “I was 60 years old, just a kid with a crazy dream”, sagt über die Entstehung eines älteren Songs. Dann zählt er auf, was er zuletzt zu sich genommen hat: “Prozac, Effexor, Rita­lin, Foca­lin.” Und doch: “Cheer­fulness kept breaking trough.. there ain’t no cure for love.“
Das sind die beiden Seiten des späten Leonard Cohen. Da ist der fröhliche Greis im Anzug, mit dem Fedora, der auch mal Tanzschritte wagt und auf un­nach­ahm­li­che Art mit dem Publikum flirtet. Flirten ist nicht das rich­tige Wort – viel­mehr ist es die aufrichtige Dankbarkeit, noch da zu sein und dazu ein so großes, so bereites Publikum vorzufinden.. “on just the other side of in­ti­ma­cy.. I know that some of you have undergone financial and geographi­cal in­con­ve­nience.” Noch in den stage routines, die jeden Abend deckungs­gleich wie­der­keh­ren, ist der Dichter zu spüren. Die Band wird etwa fünf Mal vor­ge­stellt, je­der Solist bekommt warmen Dank – der eigent­liche Lieb­ha­ber, um in Co­hens Sprechduktus zu bleiben, sind aber die “Freunde” im Kon­zert­saal. Dank­barkeit, Zuneigung, Glück und – Ironie. Er kennt die Wir­kung des Gags, er bringt ihn jeden Abend: “I was born with the gift of a Golden Voice.”

Doch da ist auch der düstere Cohen, wenn auch noch nicht der Fatalist der allerletzten Phase. Denoch, “it’s getting darker” (um es mit Dylan zu sagen). Cohen beklagt weniger das Ende als den Weg dahin. Diesen Weg ver­antwor­tet nicht das Schicksal, sondern andere Menschen. “Get ready for the Fu­tu­re, brother, it is murder.” Die “good guys” verlieren, das Le­ben hat kein Hap­py End. Dann habe ihm auch noch ein früherer Lehrer, 102 Jah­re alt, “Sorry for not dying” gesagt; ähnlich fühlt sich der Performer – wie­der mit einem schel­mischen Lächeln mitgeteilt. Doch er reisst sich zusammen, der Bass pul­siert, die Orgel flimmert, die Zuversicht ist groß: “First we take Man­hattan, then we take Berlin.” Anders als David Bowie und Nick Cave machte Cohen seine existentiellen Erfahrungen in griechischen Höh­len, wie man in der Biogra­phie von Sylvie Simmons nachlesen kann. Doch am Ende seiner Zeit auf Er­den reiste er als Bot­schafter des Lebens von Halle zu Halle und teilte schie­res Glück mit. Kinder der 60er und 70er können dieses Glück einfach anneh­men, für alle an­de­ren ist hier, gerade in Co­ro­nazeiten, eine Entdeckung zu machen.

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