Es gibt einige Versuche, der überirdisch schönen Malkunst des Jan Vermeer (1632-1675) via Film gerecht zu werden. Der skurrilste ist Tim’s Vermeer (2013), eine Dokumentation über den amerikanischen Millionär und Erfinder Tim Jenison, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Vermeers “Musikstunde” (im Buckingham Palace) nachzumalen. Jenison investierte zwei Jahre und viele Dollars, um am Ende ein tieferes Verständnis von Vermeers Maltechnik und ein perfektes Faksimile zu haben. Das historische Setting erzählte Peter Webber mit Girl with a Pearl Earring (2003) nach, konventionell, doch ähnlich unterhaltsam wie der amerikanische Kauz, der ein neuer Vermeer sein wollte. Natürlich erreichen beide Filme das Genie aus dem 17. Jahrhundert nicht. Sie kommen durch Ähnlichkeit an das Original heran, doch das erzielt seine Wirkung mit der Aura des singulären Bildes. Um “wie Vermeer” zu sein, muss ein Film ganz eigene Bilder entwickeln. Darum geht es im heutigen Beispiel.
Die Figur der Isebel kommt aus dem Alten Testament, wo sie, eine Prinzessin, so böse ist, dass sie von einem Turm gestürzt und ihre Leiche den Hunden vorgeworfen wird. Tausende Jahre später entstand der Film Jezebel, der zum schönsten gehört, was das amerikanische Kino je produziert hat. Für die Story müssen wenige Worte genügen: Die Südstaatenschöne Julie (Bette Davies) ist verlobt mit dem Anwalt Preston (Henry Fonda). Aber Julie provoziert und provoziert. Der Gipfel des Ärgers ist erreicht, als die junge Frau einen Ball durch ein unziemliches, feuerrotes Kleid sprengt. Preston zieht weg und heiratet eine andere. Jezebel bereut, büßt und begleitet den Geliebten am Ende freiwillig in den Tod durch eine Fieberepidemie.
Der gesamte Film kreist um Bette Davies (1908-1989). Davies war anders als die normale Hollywood-Schönheit. Sie schauspielerte in erster Linie mit Augen und Augenbrauen, mit denen sie Feinde in die Flucht schlagen konnte. Sie kreiierte den Typus der eigensinnig-widerständischen Frau, die nur das tat, was sie für richtig hielt. Kaum einer ihrer Filmpartner bleibt auf Dauer bei ihr. Das Publikum war so fasziniert wie irritiert von Davies’ Erscheinung. Wer sie liebte, war die Kamera. Es gibt singles in Jezebel, in denen so viele einzelne Glanzpunkte gesetzt sind, dass Davies’ Porträt nichts anderes ist als ein schimmerndes Diadem. Der Glanz des klassischen Hollywood kommt von dieser handwerklichen Qualität, die sich einstellte, indem man für jedes Departement jeweils den oder die Beste des Fachs anstellte. In unserem Fall waren das der Kameramann Ernest Haller und der Komponist Max Steiner; dasselbe gilt für Bühnenbau, Maske, Garderobe und mehr, und für den Regisseur William Wyler, geboren 1908 im elsässischen Mulhouse. Filme unter Wylers Regie errangen 38 Oscars und waren 127 mal nominiert. Von 1936 bis 1942 trat jedes Jahr ein Wyler Picture im Rennen um den Oscar an.
Es geht fehl, die Kunst Hollywoods nach Regisseuren, also einzelnen Künstlern und deren persönlichem Stil zu bemessen, wie es Andrew Sarris mit seinem “Pantheon” des amerikanischen Films versucht hat. Ein interessanter Vorstoß war, die arbeitsteilige Herstellung amerikanischer Filme mit dem Bau von Kathedralen zu vergleichen. Das kommt der Sache näher, trifft den Kern aber auch nicht in allen Belangen; insbesondere die Motivation des Produzenten ist eine andere, kommerzielle. Das Genus proximum des klassischen Hollwoodsystems ist die industrielle Marke, wie sie etwa Autofabrikanten zu einem über lange Zeit gültigen Image ausbauten.
Danach wären die Cadillacs des amerikanischen Kinos Filme aus dem Hause MGM – am größten, teuersten, schillerndsten, doch selten innovativ; Twentieth Century Fox verschrieb sich amerikanischen Themen; Paramount verstand sich als Auffangnetz europäischer Künstler und erfuhr nicht zuletzt durch den Aufstieg der Nazis unverschämtes Glück; Warner Brothers galt als Spezialist für die Umsetzung technischer Erfindungen in zeitgebundene und realititätsnahe Straßenfilme (und wollte mit Jezebel einmal wie MGM sein). Es gab weitere kleinere Firmen, die sich ihr eigenes Marktsegment sicherten.
Natürlich sind all dies heute langsame, in ihren Stereotypen oft unzeitgemäße Erzählungen. Die amerikanische Filmgeschichte ist dennoch eine Schatztruhe des 20. Jahrhunderts. Ihre Juwelen sollte man immer wieder neu betrachten; die edelsten Stücke sind Meilensteine der Kulturgeschichte. Es ist ein Jammer, wie diese Schätze auf den Streamingplattformen vernachlässigt werden. Und eine Tatsache, dass sie auf dem Tablet an Ausstrahlung verlieren.