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Vor 70 Jahren steckten die Beatles in ihren Anfängen. Vor 60 Jahren waren sie Geschichte. Die wenigsten unter uns haben die Band zu ihrer Zeit erlebt. Dennoch kennt fast jede/r noch die Namen der Fab Four, und alle können mindestens drei ihrer Lieder im Ansatz singen. Probieren Sie es mal aus.
Diese anhaltende Erinnerung äußert sich im Vordringen des besten Pop, den es gibt, in den Schuluntericht, den Chor, die Fußgängerzone. Pop Art wird auch als Malerei von den Museen hofiert, ihr eigentliches Kennzeichen ist aber eben das popular. Das bedeutet Dauerpräsenz im Alltag via Medien, in diesem Fall Radio und Schallplatten, dann CDs, dann Streaming. Und Film?
Filme mit den Beatles selbst wirken heute nur noch dokumentarisch, dazu oft recht schräg. Yellow Submarine (1967) darf man, bis auf die Musik, dem Grafiker Heinz Edelmann zuschreiben. Peter Jackson bereitet Get back für Disney vor; abzuwarten bleibt, ob der Film besser wird als all die Biopics, die sich um die Leben der vier Jungs ranken. Herzergreifend fand ich das Concert for George (2003) mit Dhani Harrison, dem Sohn des Verstorbenen, an dessen Stelle in einer All-Star-Band. Um die Beatles auf der Leinwand filmisch überzeugend zu beleben, braucht es aber ein stärkeres Konzept.
Wie wäre es damit: Wegen eines weltweiten Stromausfalls wird der erfolglose Singer-Songwriter Jack (Himesh Patel) in einem britischen Küstenstädtchen von einem Bus angefahren; auf Dauer folgenreicher ist, dass die ganze Welt in diesem Moment die Beatles vergisst. Die ganze Welt? Jack nicht, und wie sich später herausstellt, auch zwei, drei andere nicht. Jack macht erst mal das, was alle machen würden, und kommt beim Googlen auf beetles – Käfer – und bei John & Paul auf den Papst Johannes Paul. Das ist lustig. Genauso, dass die Welt Afri Cola kennt, aber nicht Coke. Und keine Zigaretten. Und dass auch Oasis vergessen werden könnte, nicht aber die Rolling Stones.
Jack und der Film machen also weiter im Konjunktiv: Was wäre, wenn kein Mensch die Musik der Beatles kennen würde? Man erfindet sie neu. Jack weiss nicht mehr alle Texte. Man möchte ihm helfen. Der Film klärt so nebenbei über ein Geheimnis von Filmwirkung auf: Wir erleben Grandioses wie neu, die Leinwandfiguren sogar als ganz neu. Creating the emotion that I had while creating it, hat der Regisseur Rossellini sein Schaffens-Credo mal beschrieben. Darum geht es immer im Kino: großen Ideen, großen Geschichten, oder hier: großer Musik wie beim Entstehen zuzusehen und zuzuhören.
Yesterday verflacht dann leider und versandet im Vollenden seiner Love Story. Danny Boyle (Trainspotting, Slumdog Millionaire) hätte man mehr Mut zugetraut; sein Autor Richard Curtis, der Notting Hill geschrieben hat, behielt wohl die Oberhand. So ist ein pflegeleichter, alle unterhaltender Film entstanden, der das Problem des Auslöschens von Erinnerung längst nicht so originell angeht wie Groundhog Day/Und täglich grüßt das Murmeltier (1993), nicht so kultträchtig wie Inception (2010), nicht so artifiziell wie Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004) und die Welle der mindgame movies. Doch zwei Stunden sehr guter Unterhaltung sind garantiert.
Dies ist die 50. Ausgabe des Filmtipps. Der heutige Text ist einem kassenträchtigen Unterhaltungsprodukt gewidmet, einer Facette, die zum Kino genauso dazugehört wie die Tatsache, dass mit der Musik der Beatles Millionen oder gar Milliarden umgesetzt worden sind. Film und Musik: Beide geben viel zu sehen und zu hören. Beide arbeiten mit Emotionen. Und es vereint sie, dass sie die beiden Künste sind, die neu dazu gekommen sind, die eine, der Film, zu Beginn, die andere, die Pop-Musik, “Musik des Volkes”, ab der Mitte des 20. Jahrhunderts. Für den Film hatte der Kunsthistoriker Erwin Panofsky bereits 1947 Erstaunliches erkannt: “Wenn alle seriösen Lyriker, Komponisten, Maler und Bildhauer gesetzlich gezwungen würden, ihre Tätigkeit einzustellen, würde das nur ein kleiner Teil des allgemeinen Publikums bemerken und ein noch kleinerer es wirklich bedauern. Geschähe dasselbe für den Film, wären die sozialen Folgen unabsehbar.”