FILMTIPP #50: YESTERDAY VON DANNY BOYLE (GB 2019).

Bildquelle: medium.com

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Vor 70 Jahren steckten die Beatles in ihren Anfängen. Vor 60 Jahren waren sie Ge­schichte. Die wenigsten unter uns haben die Band zu ihrer Zeit erlebt. Den­noch kennt fast jede/r noch die Namen der Fab Four, und alle können min­destens drei ihrer Lieder im Ansatz singen. Probieren Sie es mal aus.

Diese anhaltende Erinnerung äußert sich im Vordringen des besten Pop, den es gibt, in den Schul­untericht, den Chor, die Fußgängerzone. Pop Art wird auch als Malerei von den Museen ho­fiert, ihr eigentliches Kennzeichen ist aber eben das po­pu­lar. Das be­deu­tet Dauerpräsenz im Alltag via Medien, in diesem Fall Radio und Schall­plat­ten, dann CDs, dann Streaming. Und Film?

Filme mit den Beatles selbst wirken heute nur noch dokumentarisch, dazu oft recht schräg. Yellow Submarine (1967) darf man, bis auf die Mu­sik, dem Grafiker Heinz Edelmann zuschreiben. Peter Jackson bereitet Get back für Disney vor; abzuwarten bleibt, ob der Film besser wird als all die Bio­pics, die sich um die Leben der vier Jungs ranken. Herzergreifend fand ich das Concert for George (2003) mit Dhani Harrison, dem Sohn des Ver­stor­be­nen, an des­sen Stelle in einer All-Star-Band. Um die Beatles auf der Lein­wand filmisch überzeugend zu beleben, braucht es aber ein stärkeres Kon­zept.

Wie wäre es damit: Wegen eines weltweiten Stromausfalls wird der erfolg­lo­se Singer-Songwriter Jack (Himesh Patel) in einem britischen Küstenstädt­chen von ei­nem Bus ange­fahren; auf Dauer folgen­reicher ist, dass die ganze Welt in die­sem Moment die Beat­les vergisst. Die ganze Welt? Jack nicht, und wie sich später heraus­stellt, auch zwei, drei andere nicht. Jack macht erst mal das, was alle machen würden, und kommt beim Googlen auf beetles – Kä­fer – und bei John & Paul auf den Papst Johannes Paul. Das ist lustig. Genauso, dass die Welt Afri Cola kennt, aber nicht Coke. Und keine Zigaret­ten. Und dass auch Oasis ver­gessen werden könnte, nicht aber die Rolling Stones.

Jack und der Film machen also weiter im Konjunktiv: Was wäre, wenn kein Mensch die Musik der Beatles kennen würde? Man erfindet sie neu. Jack weiss nicht mehr alle Texte. Man möchte ihm helfen. Der Film klärt so ne­ben­bei über ein Geheimnis von Filmwirkung auf: Wir erleben Grandioses wie neu, die Leinwandfiguren sogar als ganz neu. Creating the emotion that I had while creating it, hat der Regisseur Rossellini sein Schaffens-Credo mal be­schrie­ben. Darum geht es immer im Kino: großen Ideen, großen Geschich­ten, oder hier: großer Musik wie beim Ent­stehen zuzusehen und zuzuhören.

Yesterday verflacht dann leider und versandet im Vollenden seiner Love Story. Danny Boyle (Trainspotting, Slumdog Millionaire) hätte man mehr Mut zugetraut; sein Autor Richard Curtis, der Notting Hill geschrieben hat, be­hielt wohl die Oberhand. So ist ein pflegeleichter, alle unterhaltender Film ent­stan­den, der das Problem des Auslöschens von Erinnerung längst nicht so originell angeht wie Groundhog Day/Und täglich grüßt das Murmeltier (1993), nicht so kultträchtig wie Inception (2010), nicht so arti­fiziell wie Eter­nal Sunshine of the Spotless Mind (2004) und die Wel­le der mind­game movies. Doch zwei Stunden sehr guter Unterhaltung sind garantiert.

Dies ist die 50. Ausgabe des Filmtipps. Der heutige Text ist einem kas­sen­träch­tigen Unterhaltungsprodukt gewidmet, einer Facette, die zum Kino ge­nau­so dazugehört wie die Tatsache, dass mit der Musik der Beatles Mil­lio­nen oder gar Milliarden umgesetzt worden sind. Film und Musik: Beide geben viel zu sehen und zu hören. Beide arbeiten mit Emotio­nen. Und es vereint sie, dass sie die beiden Künste sind, die neu dazu gekommen sind, die eine, der Film, zu Beginn, die andere, die Pop-Musik, “Musik des Volkes”, ab der Mit­te des 20. Jahrhun­derts. Für den Film hatte der Kunsthistoriker Erwin Panofs­ky bereits 1947 Erstaunliches erkannt: “Wenn alle seriösen Lyriker, Kompo­ni­sten, Maler und Bild­hauer gesetzlich ge­zwun­gen würden, ihre Tä­tig­keit ein­zustellen, würde das nur ein kleiner Teil des all­gemeinen Publikums be­merken und ein noch kleinerer es wirklich be­dauern. Geschähe dasselbe für den Film, wären die sozialen Folgen unabsehbar.”

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