Ein Film aus einer Zeit, als die amerikanische Welt wieder unschuldig sein sollte. Vietnam musste zu Ende gehen, so oder so. Auch Watergate und Nixon wurden schließlich überwunden. Gewürzt mit einer Prise 68er-Naivität und der daraus entstandenen neuen Lässigkeit, geht es mit Paper Moon zurück in die 30er Jahre, die ebenfalls als eine Zeit des Aufbruchs gelten.
Der Kleinkriminelle Moses Pray (Ryan O’Neil) reist in einem Ford Model A convertible durch den Mittleren Westen und verkauft Bibeln an Witwen, denen er erzählt, ihr Mann habe sie kurz vor dem Tod bestellt. Zu O’Neal, der oft schmalzig bis schmierig daherkommt, was für diese Rolle prima passt, gesellt sich die neunjährige Addie (Tatum O’Neal). Sie ist durch den Tod ihrer Mutter gerade ganz allein auf der Welt. Moses trifft das Mädchen auf der Beerdigung der Mutter; das bringt den Running Gag, dass Moses ihr Vater sein könnte. Nach leichten Anlaufproblemen entwickelt sich eine innige Zweckbeziehung, an der das Kind mit allen Mitteln und final erfolgreich festhält.
Vater und Tochter O’Neal bürgen für die passende Chemie im Schauspiel. Alle anderen Erwachsenen spielt das Mädchen an die Wand. Sie ist keine Dorothy, die von Kansas aus auf die andere Seite der Welt muss, sondern zielorientiert und nicht zuletzt der bessere Gauner. Bei den Betrügereien und Erpressungen des Duos hat Addie im entscheidenden Moment stets die zündende Idee. Sie findet Roosevelt gut. Man sieht ein Kino, das einen John-Ford-Film von 1935 anzeigt: Der New Deal ist in vollem Gange. Die Schwarzweiß-Kamera von Lászlo Kovács orientierte sich entsprechend an den Ikonen der FSA-Fotografie. Doch ging es Hollywood weder um sozialen Realismus noch um pure Nostalgie, auch wenn der Film in Bild und Score viel dafür tut.
Es ging um’s nackte Überleben. Im Alleingang fand die Paramount als Verleih die rettende Formel in Konkurrenz mit dem Fernsehen, sinkenden Zuschauerzahlen und einer wegdriftenden Jugend. Filme wie The Godfather, The Great Gatsby, Chinatown und Paper Moon, alle im Programm von Paramount, kehrten thematisch in goldene Zeiten Amerikas zurück und setzten dafür noch einmal auf das Handwerk Hollywoods. Das ist im Kern konservative Politik, aber keine Ideologie, sondern in erster Linie Geschäft.
Die großen Gesellschaften wie Paramount, MGM, Warner Bros. und 20th Century Fox hatten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Markenidentität, die ein Heer von festangestellten Schauspielern, Regisseuren und Handwerkern über Jahrzehnte garantiert hatte. Die Namen gab (und gibt) es immer noch, im Hintergrund wirken nun aber Medienkonzerne und Investmentgesellschaften. Auch der Aufbruch von New Hollywood lief von Beginn an in diverse Richtungen. Die einen machten bildgewaltige, zeitgenössische Filme und wurden als amerikanische Autorenfilmer gefeiert, andere, allen voran George Lucas und Steven Spielberg, machten der Jugend zugeneigtes Kino und strebten das Format des Blockbusters an, das dann die 80er dominierte.
Ein dritter Strang sind die, deren Stern aufging, um bald wieder zu verglühen. Bogdanovich ist so ein Fall, obwohl er gut vorbereitet war. Bevor er ins Regiefach wechselte, hatte er sich mit Büchern über Howard Hawks, John Ford, Orson Welles und Fritz Lang einen Namen gemacht. Doch das Kino ist eine Kunst, die sich etwa alle zehn Jahre aus sich selbst heraus verpuppt und erneuert. Solides Handwerk genügt nicht, um an der Spitze zu bleiben: Selbst die alten Meister hatten, im Genre versteckt, zu Fragen ihrer Zeit Stellung bezogen. Dazu galt Bogdanovich als allzu egozentrischer Typ.
Dennoch hat er seinen Platz am Rand der Erneuerungsbewegung Hollywoods zu Recht. Wie Diedrich Diederichsen herausgearbeitet hat, wandten sich die Jungen zu Anfang der 70er von allen globalen oder europäischen Themen und Einflüssen ab und suchten stattdessen “den Anarchismus und den Freiheitswillen von Pionieren und Outlaws”. Ein einsamer Mann ist Moses Pray auch, mehr Trickser freilich als die zornigen Antihelden der Gegenkultur.
Fast 50 Jahre ist der Film alt, doch Paper Moon hat sich gut gehalten, weil er eine eigenartige Facette Amerikas konserviert, die wehmütige Erinnerung an den Luna Park – ein verlorenes Paradies, wie es Kinder für sich bewahren. In dem Motiv, das zum Plakat für den Film wurde, sitzt Addie in einem Papiermond auf dem Jahrmarkt. Sie blickt ganz ernst in die Kamera des Fotografen.