Wenige Tage vor dem 18. Geburtstag ist im Leben der Berlinerin Tina (Carolyn Grenzkow) nicht viel in Ordnung. Auf die besten Freundinnen kann sie sich nicht verlassen, der von ihr angehimmelte Adam, ein cooler, aber schräger Typ, verhält sich diffus. Den größten Stress verursachen Tinas Eltern: gut situierte, besorgte und dabei ziemlich verspannte Menschen, die eine schöne Villa im Grünen bewohnen. Ihre einzige Tochter haben sie offenkundig gegen ihren Willen einem Neurologen anvertraut und erwägen nun gar, sie für einige Zeit in eine Klinik einweisen zu lassen. Die Begründung dafür ist, neben den für das Alter wohl nicht ganz unüblichen Erfahrungen mit stimmungssteigernden Substanzen, eine übersteigerte Wahrnehmung, die Tinas Umwelt nicht immer mit ihr teilt. So kommt es gleich zu Beginn, nach einer ausgelassenen Technoparty, zu einem Unfall, bei der eine junge Frau auf der Straße mit voller Wucht von einem Auto erfasst wird. Das könnte Tina sein; ihre Verletzungen lassen im Nachhinein darauf schließen, dass zumindest die Schwere des Unfalls nur in ihrer Phantasie existiert.
Ein Film mit einem Rätsel also. Das Ganze wird nicht einfacher, als Tina nach einem Drittel des Films ein kleines, skurriles Lebewesen zu sehen beginnt und fortan immer näher an sich heranlässt. Auf Besuche des „Nachtmahrs“ am Kühlschrank, im Badezimmer reagiert Tina anfangs panisch; das wird sich im weiteren Verlauf ändern, und gegen Ende des Films übernimmt sie sogar den Schutz des kleinen, tierähnlichen Aliens. Es ist keine Freundschaft, die da entsteht, eher eine Symbiose gegen die Umwelt, jeweils feindliche oder nur geschockte Menschen. Wie gesagt, wir wissen nicht, wie real das merkwürdige Lebewesen wirklich ist: Es gibt Anzeichen daher, dass der „Nachtmahr“ so etwas wie das Alter Ego von Tina ist, ihr Unterbewusstes oder wie immer man es nennen mag. Jedenfalls hat Tina eine Wunde an derselben Stelle, an der dem Nachtmahr etwas angetan wird. Wenn er/es blutet, blutet sie ebenfalls.
Ein Film, wie gesagt, mit einem Rätsel. Wir haben AKIZ daher eingeladen und ihn nach seiner Idee und der Funktion des Wesens für die Erzählung befragt. Kaum verwunderlich war, dass die Inspiration und das Aussehen von Johann Heinrich Füsslis Gemälde von 1781 (heute in Detroit) bzw. 1790/91 (Goethehaus, Frankfurt) stammt. Dort sitzt ein entsprechend verwachsener, kleiner „Alb“ auf der Magenkuhle einer dahin gestreckten, schlafenden „weißen“ Frau; ein ausgewachsenes Einhorn, durch einen Vorhang lugend, doch ohne Augäpfel, komplettiert die Szene. Auf die Faszination für die Symbolisten spielt im Film auch ein Gedicht William Blakes an, das in Tinas Englischunterricht mehr schlecht als recht interpretiert wird: Die Rätsel werden an uns, das Publikum, weitergeleitet. Hier hilft das Gemälde weiter. Bei Füssli wird deutlich, dass es um Mischwesen geht, die nicht wirklich existieren, die sich der direkten Wahrnehmung entziehen, um als Dämonen im Schlaf oder Traum umso intensiver aufzutreten. AKIZ ist aber mehr gelungen als die Aktualisierung eines symbolistischen Bildes, das offenkundig zu seiner Zeit auf den Skandal abzielte, den eine sinnenfeindliche Gesellschaft dann ganz willig nachvollzog. Niemand anderes als J.W. Goethe hat Füssli in der Schweiz besucht und bereits früh gewarnt: „Habe einige Fueslische Gemählde … erwischt, über die ihr erschröcken werdet.“
Der Nachtmahr ist dazu eine zeitgemäße Allegorie; die Technoparties, die grausamen Zugeneigtheiten der Teenager, die Negation jeder Normalität in diesem Alter, all das ist so gelungen übersetzt, das man sich als Zuschauer tatsächlich kaum einen Moment lang wohl fühlt. Gleich zu Beginn warnen uns Texttafeln vor isochromatischen und binauralen Sounds; als nächstes erfolgt die Aufforderung an die Kinobetreiber, die man sonst von Rockfilmen kennt: This movie should be played loud, heißt es dort gern. Und sollen Kinozuschauer im Nachtmahr überhaupt viel von den leise abgemischten Dialogen verstehen? Der Technobeat fliegt einem buchstäblich um die Ohren. Ein Film der Entfremdung einer Person von ihrer Umwelt, sicherlich kein Normalfall, aber auch nicht völlig abwegig; dass Tina konsequent ihren eigenen Weg geht, mag einen schon wieder gelassener stimmen. Ein Coming-of-Age-Drama der ganz außergewöhnlichen Art, zumal aus Deutschland. Gut, dass es auch hierzulande bildende Künstler gibt, die sich um den Film kümmern.