FILMTIPP #57: ASSAULT ON PRECINCT 13 / DAS ENDE – ANSCHLAG BEI NACHT VON JOHN CARPENTER (USA 1976).

Bildquelle: sfmoma.org

Assault on Precinct 13 war schon der dritte Film des noch nicht dreißigjährigen John Carpenter. Hier dient er als Beispiel für die erste Generation von amerikani­schen Regisseuren, die sich an einer Filmuniversität bildeten. Für Spielberg, Lucas, Scor­sese, Coppola & Co. war aber nicht abstrakte Theorie, sondern die Tradition des amerikanischen Genrefilms Aus­gang und Lehrmeister. Carpenter interessierte sich für Science Fiction und Western, später dann nur noch für den Horrorfilm. Für As­sault ging er von einer Westernkonstellation aus – eine Überzahl von „India­nern“ belagert ein Fort oder einen Wagentreck. Dem fügte er Elemente des Reven­ge-Movies, des Prison-Dramas sowie die reale Frustration chancenloser Jugend­li­cher in den südlichen Suburbs von L.A. hinzu, die kriminelle Gangs bilden. Mit Assault entstand nicht zuletzt ein Blueprint sozialer Kritik, in der sich ein Zug der amerikanischen Zivilgesellschaft, und das nicht nur in Gestalt der Los Angeles Riots, sondern in allgemeinerer Weise & medial umschrieben wiederfindet.

Die Polizei hat im Einsatz einige Jugendliche erschossen. Eine kleine Gruppe schwört sich auf Rache ein. Aus ihr wird im Lauf des Films eine wahre Flut von Chicanos, Weißen und Schwarzen, die eine Bastion der Rechtsstaates angreifen. Immer mehr, immer anonymer erscheinende Angreifer sterben in immer schnel­leren Abständen. Das ist der erste, actionreiche Zug der Erzählung (und ein aktueller Hinweis auf zivilen Ungehorsam, aus dem mehr wird).

Ein sehr seriöser, junger Polizist übernimmt einen precinct, eine Wache, die aufgegeben werden soll: der zweite, eher psychologische Strang.

Ein schwerbewachter Gefängnisbus transportiert verurteilte Verbrecher, darunter einen abgeklärten Kettenraucher und einen Gefangenen, der dringend ärztlicher Betreuung bedarf. Um dieses Problem zu lösen, wird Precinct 13, das Revier 13, gesucht und gefunden. Und damit das zentrale räum­li­che Setting des Films.

Ein Vater will seiner Tochter an einem fahrbaren Stand ein Eis kaufen. Das Kind mit den lustigen Zöpfen wird zum Opfer der Gang; der Vater, schwerst ver­stört, erschießt einen der Täter und flüchtet in die Polizeiwache: Strang Nr. 4 und point of attack.

Das Drama wird dichter. „This is a siege“, das ist eine Belagerung, stellt die Poli­zei­sekretärin Leigh, eine echte Hawks-Lady, bald trocken fest. Als Final Girl wird sie am Ende die dramaturgischen Genre­ge­setze mit erfüllen. Übrig bleiben am Ende nur vier zentrale Figuren. Man kennt sie nun und schätzt ihre Worte, ihre Mo­ral. Und die Coolness. Man wird zum subtilen Kom­pli­zen im Kino, wo ei­gent­lich eine Menge Di­stanz angesagt wäre. Carpen­ters Kunst liegt in der Ver­flechtung der Teilhand­lun­gen, der Ordnung der Zeit, der kompo­sitorischen Klarheit und Transparenz. Für Strukturalisten, die sich für den Bauplan eines Kunstwerks interessieren, ist dieser Film ein Studienobjekt ersten Ranges. Man könnte ihn graphisch sehr gut ver­deut­lichen. In einer solchen formali­sti­schen Annäherung verschwänden automa­tisch auch die zahlreichen Gewaltspitzen. Tatsächlich stand der Film in Deutsch­land ein paar Jahre auf dem Index und ist erst seit 2005 in seiner Originalfassung zu­gänglich.

So ging auch Assault den Weg vieler, insbesondere religiöser Kunst: vom Skan­da­lon zum ästhetischen Objekt, das wir museal bewundern. Darüber hinaus hat dieser Film einen einzigen Autor, oder, für die Kunstgattung Film passender, einen Künst­ler. Carpenter war gleichzeitig Regisseur, Autor, Monteur, Nebendar­steller und sogar Komponist des wahrhaft aufregenden, elektronischen Scores. Die lä­cherlichen 100.000 $, die das Ganze kostete, hat er wohl auch selbst aufge­trie­ben. So wird der Film zum Muster für eine Produktionsweise, die die überkom­menen Stärken des Studiossystems in eine kleine, unabhängige und originelle Gestalt übersetzt und damit die Handschrift oder wieder besser: den Stil eines Regis­seurs zur Geltung bringt. John Carpenter konnte das Versprechen As­saults selbst nie mehr einlösen (der erste Teil der Halloween-Reihe war noch nahe dran). Als Mo­dell hat Assault seinen Platz im amerikanischen Filmhimmel sicher: Wie bei jedem Kunstwerk liegt das Geheimnis am Ende nicht im Erzählten, also auch nicht in einer etwaigen Kritik am hohen Body Count, sondern in der Form, die jede Erzählung in ästhetischer Weise erst zum Leuchten bringen kann.

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