Zuletzt ist Joaquin Phoenix zu „That’s life“ aus Joker hinausgetanzt, auf dem hellen Anstaltsflur blutige Fußabdrücke hinterlassend. Was sagt uns das starke Schlussbild? Alles, was mir zustösst, ist mein Leben, könnte die Einsicht lauten. Kein übermenschlich Böser denkt das mehr, sondern ein Patient, ein psychisch Kranker. Die Einsicht wurde im übrigen formuliert von einer Frau, die ebenfalls irgendwann, irgendwie halbwegs mit dem Leben klarkommt, der Giuliana in Antonionis Deserto Rosso.
Durch einen Sinatra-Song bestimmt ist auch das Gipfeltreffen der beiden Blade Runner, Harrison Ford und Ryan Gosling, in Blade Runner 2049 (2017). Irgendwann ist alles besprochen, alle Argumente getauscht, doch noch nichts wirklich klar. Dann wirft Gosling die Jukebox an. Sinatra erscheint als Mini-Holografie und singt ein hinreißendes „One for my Baby / One for the road“. Damit bekommt die Kommunikation der Protagonisten einen neuen Tonfall. Wenn nichts mehr geht, so der Eindruck an vielen Stellen, an denen Sinatra-Songs in Filmen auftauchen, bleibt The Voice, die an bessere Zeiten erinnert oder Hoffnung auf bessere Zeiten macht. Die Passagen sind Legion: Ocean’s Thirteen, Rocky Balboa, Catch Me If You Can, Space Cowboys oder Summer of Sam, um nur ein paar Jahre zurückzugehen.
Nicht nur seine Stimme, auch der Sänger selbst erscheint im Film, mit Auftritten von Anfang der 40er bis Ende der 80er Jahre; in keinem seiner vielen Filme ist Sinatra die Hauptattraktion, aber viele renommierte Regisseure haben ihn eingesetzt. Die Filme laufen parallel, um nicht zu sagen, nebenbei, bis auf einen, der sich rettend auf die Karriere auswirkte: In From here to Eternity (Fred Zinneman, 1953) spielte Sinatra neben Montgomery Clift und Burt Lancaster, die beide mit der Armee verheiratet sind, wie ihre Freundinnen sagen, den Außenseiter und Abweichler Angelo Maggio. Der hat immer einen Scherz auf den Lippen, feiert und trinkt gerne – und hält im entscheidenden Moment dagegen. Das bringt ihm Ärger und Arrest ein. Im Armeegefängnis wird er von dem sadistischen Ernest Borgnine schließlich so verprügelt, dass er in den Armen der Freunde stirbt. Die Armee, die nichtsahnend in den Tag von Pearl Harbour hineinläuft, ist in diesem Film ungewöhnlicher Weise mehr Fluch als Segen. Den Stellvertreter-Tod des unschuldigen Sinatra nahm sich Amerika zu Herzen: Symbolisch bestraft, war Frank Sinatra im wirklichen Leben mit einem Male durch einen Film exkulpiert.
Die Karriere des Sängers hatte zuvor auf der Kippe gestanden. 1947 hatte er sich mit Lucky Luciano fotografieren lassen. Die Frauengeschichten nahmen überhand. Sinatra beschimpfte Journalisten und drohte ihnen Gewalt an. Er verlor seine Verträge mit MGM, Universal und CBS. Schließlich versagte auch noch die Stimme. Erst mit dem Oscar als Best Supporting Actor für seinen Opfertod in Zinnemans Columbia-Produkt wendete sich das Blatt; die Filmrolle verhalf der Karriere des Sängers zu neuem Aufschwung. Sinatra wechselte die Plattenfirma, tat sich mit Arrangeuren wie Nelson Riddle und Billy May zusammen, und mit Capitals Records begann er jene Serie von Konzeptalben, die seinen Ruf als amerikanische Legende begründeten. Die Musik wurde scharfkantiger, die mit einem Mal gemalten Covers der Alben zeigten – als Solisten – nun einen erwachseneren, unabhängigen Mann, der (nur) da ist, wenn man ihn braucht. Mit der Synkope zog auch in Sinatras Gesang eine neue Dimension ein. Ein ähnlicher Balanceakt eröffnete sich im öffentlichen Auftritt, in dem der Entertainer ausreizte, was ging und was nicht: Und Amerika erlaubte, über das Whiskeyglas und die Zigarette auf der Bühne hinaus, so ziemlich alles hinaus, solange es mit genügend Crooning und swingenden Ohrwürmern gefüttert wurde.
Die tiefschwarze Komödie Liberty Heights (Barry Levinson, 1999), angesiedelt im orthodoxen Judentum von Baltimore, bezieht einen Teil ihrer Stimmung über einen der Handlungszeit gemäßen 50s-Sound: Doo-woop, Rock‘n Roll und Sinatra. Die Spannungen jener Umbruchszeit, in der Amerika seine Führungsrolle in der westlichen Welt auch kulturell festigte, haben im Rückblick als gemeinsamen Nenner Nostalgie und Mythos. Dafür gibt es keinen besseren Ausdruck als die Gesangskunst Frank Sinatras. Wie der Schriftsteller Gore Vidal einmal bemerkte, sei es wahrscheinlich, dass 50% der lebenden Bevölkerung Nordamerikas gezeugt wurde, während im Hintergrund diese Stimme erklang.