Kein Beruf hat sich im Lauf der Jahrhunderte so verändert wie der des Künstlers. In der Antike der Vollender idealer Vorstellungen, wird er im Mittelalter zum Anonymus, der Minuskeln in ein Stundenbuch malt oder zur Ausstattung von Kathedralen beiträgt. An der Schwelle zur Neuzeit taucht der Freigeist auf, der sich mit kirchlichen und weltlichen Auftraggebern abstimmt. Die Moderne lernt die Verbindung von Genie und Wahnsinn kennen, den einsamen Seher ebenso wie das selbstgefährdende Individuum. Im 20. Jahrhundert werden Können & Machen abgelöst vom Konzept. Kunst darf alles und tut alles. Jeder und jede ‚kann‘ Kunst. Dazu kommt das performative Moment. Das heißt, nicht nur kann jeder Künstler sein, um erfolgreich zu sein, sollte er/sie auch als solche/r auftreten. Das bedeutet wiederum auch, sich um dauernde Aufmerksamkeit zu bemühen.
Einem ‚klassischen‘ Künstler bei der Arbeit zuzusehen wäre daher eine willkommene Erinnerung. Caden Cotard ist Regisseur am Theater, und das, wie es so schön heißt, mit Leib und Seele. Der Leib ist allerdings oft krank, dazu wittert der Hypochonder Caden immer schon die nächste Malaise. Mit seiner ganzen theatralen Existenz fragt Caden nach den großen Dingen, nach Liebe und Tod, Leiden und Erfüllung im Menschsein. All das projiziert er auf sein nächstes Stück. Durch den Erfolg einer Klassikerinszenierung gewinnt er ein Stipendium; es ermöglicht ihm, im Theaterdistrikt New Yorks eine Fabrikhalle zu mieten. Diesen Ort will Caden nutzen, um Vita und Werk eins werden zu lassen. Folgerichtig nimmt er das eigene Leben zum Thema, mit dem Double des Regisseurs sowie dem der Geliebten auf der Bühne und weiteren Figuren, die sich selbst spielen. Das wirkliche Leben soll zur Randerzählung werden und greift doch immer wieder ins Geschehen ein.
Eingangs ist Caden noch mit seiner Frau Adele, einer Malerin von Miniaturen, und der kleinen Olive zusammen. Das ist die Normalkonstellation. Als Adele mit dem Kind nach Berlin zieht, beginnt der Sonderzustand; Caden freundet sich mit Hazel an, die am Theater Tickets verkauft und in einem Haus wohnt, in dem ständig kleine Feuer lodern. Die Welt verliert ihre Ordnung rapide. Caden beginnt im Tagebuch seiner Tochter zu lesen, obwohl die in Berlin schreibt; dorthin gereist, trifft er sie, viel älter geworden, als Nackttänzerin in einer Peep-Show. Mit der Balance des Lebens geraten Zeit und Raum aus den Fugen. Man sollte den Titel Synecdoche, New York reflektieren: Manhattan taucht als Kulisse in der Lagerhalle auf. Die Synekdoche ist eine Sonderform der Metapher. Es geht um unseren Als-ob-Blick auf diese Bühne, auf diese Menschen, auf diese Stadt, auf diese Welt, und von hier aus wieder auf das kleine, Individuelle. Und zwar in dieser Reihenfolge.
Das Frappierende ist, dass sich mit diesem Film das sichere Gefühl einstellt, dem Entstehen großer Kunst zuzusehen. Das zeigt sich auch im Vorantasten des Protagonisten, den Philipp Seymour Hoffman (1967-2014) tatsächlich grandios spielt; Rolle und Schauspieler bieten eine Melange, der man sich kaum entziehen kann. Wichtig ist, den Film als Kinofilm anzuerkennen; undenkbar, dass man ihn unterbricht, um irgendwann weiter zu sehen. Jedes Bild baut aufs vorhergehende auf, der Ursache folgt immer sofort der Effekt, teils gegen jede Logik der Narration. Nimmt man ihn nicht mit Humor oder als Farce, kann er ganz ungemütlich werden; Kino darf das, solange die Wirkung tief ist. So hat hier weniger Woody Allen Pate gestanden als Ibsen und vor allem Kafka. Gegen Synecdoche, New York wirken vergleichbare Bespiegelungen von Regisseuren wie Tommaso (Abel Ferrara, 2019) oder Birdman (Alejandro Iñárritu, 2014), den wir Filmfreunde zusammen mit einer Feuerschluckersshow gezeigt haben, gradlinig, flüssig und im Vergleich ein wenig larmoyant erzählt.
Der Ruhm Charlie Kaufmans ist größer als sein kommerzieller Erfolg – kein Wunder, wenn man als Autor von Being John Malkovich (1999, Spike Jonze) einsteigt. Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2008), die erste eigene Regie Kaufmans, wurde für seine gewagte Konstruktion berühmt und war gewagt für Hollywoods Normalbetrieb. In seiner liebenswerten Verrücktheit gilt dasselbe für den Animationsfilm Anomalisa (2015). Jüngst durfte Kaufman für Netflix ein „Low-budget-Prestige-Projekt“ inszenieren, wie der Regisseur selbst sagt, der danach erst einmal das Schreiben eines dicken Romans vorgezogen hat.