FILMTIPP #64: NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT VON FRIEDRICH WILHELM MURNAU (D 1922).

Bildquelle: goethe.de

Eine Seuche, “der Große Tod”, wird in das kleine nordische Städtchen ge­tra­gen. Die Menschen müssen in Quarantä­ne. Viele sterben. Nicht nur deshalb wirkt Nos­feratu ziemlich aktuell. Der Film wurde zu der Zeit gedreht, als Sig­mund Freud in Wien an Das Ich und das Es arbeitete. Es lohnt sich, nach den unbewussten Motiva­tionen der drei Hauptfi­guren zu fra­gen, die sich hinter dem vor­der­gründigen Tun abzeichnen. Zuerst mal geht es ums Ge­schäft: In heu­tiger Dik­tion wird der junge Hut­ter als Angestellter eines Im­mo­bilien­mak­lers auf eine Reise ge­schickt, um einen Investor in die Stadt zu holen (der die Seu­che dann ein­schlep­pt). Hutters Frau Nina sieht das Kom­mende voraus und er­war­tet es ängstlich, um sich dem unheim­lichen Besucher in einer Tota­len dann ziemlich frei­willig hinzugeben. Und da ist der Graf Orlok a.k.a. Nosferatu, der schlak­si­ge Vampir. Sein ei­gent­li­ches Be­geh­ren kann er kaum kaschieren. Bevor er Nina aus­saugt, wan­dern seine Hände im Schatten­riss über ihren weißen Körper.

Modern ist der Film auch, obwohl er schon zu seiner Entstehungszeit Ver­gan­ge­nes erzählte, eine Fabel aus dem Jahr 1838, die von Bram Stokers Roman Dracula von 1897 dann überschrieben wurde. Murnau tut viel, die alte, un­heim­liche Historie plau­si­bel zu ma­chen, mit Blicken in Bücher, Briefe, Chro­niken und Reminis­zen­zen an gerahmte Fo­to­grafien des 19. Jahrhunderts. Doch seine Motivik ist auf der Hö­he seiner Zeit, sie zeugt vom Sieg des schein­bar trivialen Be­wegt­bil­des über alles vorher Da­ge­we­se­ne. Allein die Tier-Metaphern: eine Hyäne zu Be­ginn, die allge­gen­wär­tigen Ratten, die Fliege, die ins Maul der fleisch­fres­senden Pflan­ze ge­rät. Dann Bil­der von Land­schaf­ten und vom Gebirge. Das sich kräuseln­de Meer. Das Schiff, das wie auf So­cken in den Hafen von Wismar einfährt, um den Tod zu bringen.

F.W. Murnau ist der große Naturalist des Stummfilms, gerade weil er als Künstlernamen die berühmte oberbayrische Malerkolonie gewählt hatte (eigentlich kam er aus Bielefeld und hieß Plumpe). Wichtiger, dass er den Film als Pik­torialist mit der Kamera voranbrachte: ein Maler auf der Ba­sis bewegter Fotografie. Nur die Biedermeier-Ku­lis­sen der vielen Dreh­orte ver­wei­sen auf die Vormo­derne. Sie dienen als Büh­ne für das Drama eines Aus­ge­stoßenen, der sich an den sogenannten Nor­ma­len versucht, um am Ende ein­fach zu ver­puffen. Mit einer solchen Figur hat man eher Mit­leid. Von einem wirksamen Horrorfilm kann nicht die Rede sein. Wäre man auf echten Horror aus, der durch ein entsprechendes Ungeheuer aus­gelöst wird, müsste man zu Fran­cis Cop­polas Bram Stoker’s Dracula (1992) grei­fen, der g­e­treuesten Um­set­zung des Romans und in der Umsetzung doch sehr filmisch.

Was haben solche Figuren mit uns zu tun? Warum ist das Horrorgenre so be­liebt? Was bedeuten all die Monster, welchen Sinn machen sie in un­se­rem Leben? Ist der Vampir in Nosferatu nicht viel mehr ein Mensch, Außenseiter zwar, aber keinesfalls dessen eine animalisierte Muta­tion, eine Bestie?

Als Antwort kann man auf eine Art Gegenentwurf verweisen, auf den Wolf. Im Märchen soll er als bewahrpädagogische War­nung an Kinder gelesen wer­den, in Filmen für Erwachsene sind Wölfe auf mensch­li­che Beute aus, so in La tuile à loups/Wolfsziegel (F 1972), in dem sie ein Dorf regelrecht be­la­gern. Die sexualisierte Variante ist der Wer­wolf, halb rationaler Mensch (Mann), halb instinktgetriebenes Tier. Dafür gibt es eine wissenschaftliche Er­klärung, die mit einer bipolaren Persön­lich­keitsstruk­tur zu tun hat; viel öf­ter muss der Wolf aber einfach als Sündenbock herhalten. Das verstärkt die Wahrnehmung in der medialen Distanz. Nur in Doku­men­tar­filmen darf der Wolf eine Krea­tur sein, die ihren genetisch ­gege­benen In­stink­ten folgt. ‘Bö­se’ werden Tiere immer dann, wenn sie instrumen­tali­siert und mit huma­noi­den Ab­sichten ausgestattet sind. Und über allem regiert das Prin­zip Homo homini lupus. Am Ende ist der Wolf selbst an der Wall Street eine Gefahr.

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