FILMTIPP #76: FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE VON DOMINIK GRAF (D 2021). AKTUELL IM KINO.

Bildquelle: Schreenshot

Der Zufall wollte es, dass vor meiner Kinovorstellung von Fabian, dem viel­beachteten neuen Film von Dominik Graf, zwei Trailer zu Literaturverfil­mun­gen liefen, die bald im Kino zu sehen sein werden. Uns erwarten dem­nächst ein weiteres Porträt des Hochstaplers Felix Krull nach Thomas Mann, dessen Regisseur Detlef Buck eine Komödie erwarten lässt, sowie eine Neu­auflage der Schachnovelle Stefan Zweigs von Philipp Stölzl (Der Medicus).

Fabian ist keine klassische Literaturverfilmung – schon aus dem Grund, dass Erich Kästners Roman von 1931 auch kein Klassiker der deutschsprachigen Literatur ist, da er 2013 erstmals vollständig ge­druckt wurde. Graf erlaubt sich mittels einer Voice-over längere innere Monologe aus dem Buch über seine Bilder zu legen. Dennoch ist sein Film weniger eine Hommage an einen großen Schriftsteller; vielmehr will der Regisseur partout den Bezug zur Gegenwart herstellen.

Das offenbart sich schon mit der ersten Einstellung, einer Steadycam-Fahrt in eine aktuelle Berliner U-Bahnstation hinein. Die Kamera durchquert den Bahn­hof; als sie ihn auf der anderen Seite wieder verlässt, verändert sich die Szenerie noch im gleichen Take – plötzlich hängt da ein Hakenkreuz-Plakat, ein Mensch in der Kleidung der 30er Jahre kommt die Treppe herunter, das Bild­format verändert sich zum altertümlichen 1,33:1. Von der Kritik wur­de das (de facto sel­te­ne) Verlassen des er­zählten Sommers von 1931 – der Blick auf Stolpersteine etc. – stark be­achtet; die An­fangs­se­quenz, die einen sprich­wortlichen Zeittunnel abbildet (in den wir mit je­dem Film eintauchen), zeugt davon, dass ein solcher Versuch ziemlich forciert wirken kann.

1931 – die Braunhemden der SA sind schon da, ein zentrales Drama im Film geht auf die Denunziation eines NS-Jünglings zurück. Dieser “Gang vor die Hunde” ist nun aber nicht allein durch die politischen Zeitläufte bestimmt, von denen wir ja wissen, wie sie ausgingen / ausgehen müssen. Es ist auch die Orientierungslosigkeit junger Leute, von denen sich auch der Autor Kästner in seinem Buch nicht ausnahm, der selbst dann im Lande blieb und sich in gewisser Weise mit den neuen Verhältnissen arrangierte. Sein Schrift­steller ist “ohne Plan”; die Liebe, die er zu einer Nachwuchs­schau­spie­le­rin entdeckt, bleibt für lange Zeit fragil und wird so zum großen Thema. Den­noch verblasst dieser Erzählstrang in der Wirkung wiede­rum gegenüber der anderen großen Liebe, die der Film erzählt, einer brüderlichen oder Freun­des­liebe: Fabians Freund Labude (einmal mehr groß: Albrecht Schuch), der ge­brochene, doch lebenshungrige Sohn eines reichen Anwalts, ist die bei wei­tem konturierteste Figur; seiner Herkunft, seinem Antrieb, sei­nem Schei­tern widmet sich der Film mit Überzeugungskraft. Fabian (Tom Schil­ling) hinge­gen ist ganz einfach “zu gut für diese Welt”, man könnte auch sa­gen: er lässt sich zu wenig auf sie ein. Seine Liebe Cornelia blieb für mich eher blass.

Es gibt eine Reihe anderer, mehr oder weniger interessanter Figuren à la Dix, die im großen Defilée an uns vorbeiziehen. Ein Bilderbogen der Vornazi­zeit, über­ragend ausgestattet, solide erzählt, trotz seiner drei Stunden kaum lang­atmig. Dominik Graf hat sich bemüht, die vertraute Geschichte des deut­schen Totalitarismus um ein Kapitel zu bereichern, auch im Visuellen. Die Lobes­hymnen, die der Film einheimst, verdient er dennoch nicht ganz; die Absicht wird da wohl gern zur Form hinzuaddiert. Fabian stellt immerhin dem ak­tuel­len Filmschaffen in Babelsberg ein Zeugnis aus, was an Groß­pro­duk­tion geht, und das ist nicht wenig. Der Regisseur Dominik Graf ist für Kino & Fernsehen sowieso eine Bank, daneben Historiker und Autor von Essays zum Film. Seines deutschen Erbes ist er sich dabei außerordentlich bewusst.

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