Der Zufall wollte es, dass vor meiner Kinovorstellung von Fabian, dem vielbeachteten neuen Film von Dominik Graf, zwei Trailer zu Literaturverfilmungen liefen, die bald im Kino zu sehen sein werden. Uns erwarten demnächst ein weiteres Porträt des Hochstaplers Felix Krull nach Thomas Mann, dessen Regisseur Detlef Buck eine Komödie erwarten lässt, sowie eine Neuauflage der Schachnovelle Stefan Zweigs von Philipp Stölzl (Der Medicus).
Fabian ist keine klassische Literaturverfilmung – schon aus dem Grund, dass Erich Kästners Roman von 1931 auch kein Klassiker der deutschsprachigen Literatur ist, da er 2013 erstmals vollständig gedruckt wurde. Graf erlaubt sich mittels einer Voice-over längere innere Monologe aus dem Buch über seine Bilder zu legen. Dennoch ist sein Film weniger eine Hommage an einen großen Schriftsteller; vielmehr will der Regisseur partout den Bezug zur Gegenwart herstellen.
Das offenbart sich schon mit der ersten Einstellung, einer Steadycam-Fahrt in eine aktuelle Berliner U-Bahnstation hinein. Die Kamera durchquert den Bahnhof; als sie ihn auf der anderen Seite wieder verlässt, verändert sich die Szenerie noch im gleichen Take – plötzlich hängt da ein Hakenkreuz-Plakat, ein Mensch in der Kleidung der 30er Jahre kommt die Treppe herunter, das Bildformat verändert sich zum altertümlichen 1,33:1. Von der Kritik wurde das (de facto seltene) Verlassen des erzählten Sommers von 1931 – der Blick auf Stolpersteine etc. – stark beachtet; die Anfangssequenz, die einen sprichwortlichen Zeittunnel abbildet (in den wir mit jedem Film eintauchen), zeugt davon, dass ein solcher Versuch ziemlich forciert wirken kann.
1931 – die Braunhemden der SA sind schon da, ein zentrales Drama im Film geht auf die Denunziation eines NS-Jünglings zurück. Dieser “Gang vor die Hunde” ist nun aber nicht allein durch die politischen Zeitläufte bestimmt, von denen wir ja wissen, wie sie ausgingen / ausgehen müssen. Es ist auch die Orientierungslosigkeit junger Leute, von denen sich auch der Autor Kästner in seinem Buch nicht ausnahm, der selbst dann im Lande blieb und sich in gewisser Weise mit den neuen Verhältnissen arrangierte. Sein Schriftsteller ist “ohne Plan”; die Liebe, die er zu einer Nachwuchsschauspielerin entdeckt, bleibt für lange Zeit fragil und wird so zum großen Thema. Dennoch verblasst dieser Erzählstrang in der Wirkung wiederum gegenüber der anderen großen Liebe, die der Film erzählt, einer brüderlichen oder Freundesliebe: Fabians Freund Labude (einmal mehr groß: Albrecht Schuch), der gebrochene, doch lebenshungrige Sohn eines reichen Anwalts, ist die bei weitem konturierteste Figur; seiner Herkunft, seinem Antrieb, seinem Scheitern widmet sich der Film mit Überzeugungskraft. Fabian (Tom Schilling) hingegen ist ganz einfach “zu gut für diese Welt”, man könnte auch sagen: er lässt sich zu wenig auf sie ein. Seine Liebe Cornelia blieb für mich eher blass.
Es gibt eine Reihe anderer, mehr oder weniger interessanter Figuren à la Dix, die im großen Defilée an uns vorbeiziehen. Ein Bilderbogen der Vornazizeit, überragend ausgestattet, solide erzählt, trotz seiner drei Stunden kaum langatmig. Dominik Graf hat sich bemüht, die vertraute Geschichte des deutschen Totalitarismus um ein Kapitel zu bereichern, auch im Visuellen. Die Lobeshymnen, die der Film einheimst, verdient er dennoch nicht ganz; die Absicht wird da wohl gern zur Form hinzuaddiert. Fabian stellt immerhin dem aktuellen Filmschaffen in Babelsberg ein Zeugnis aus, was an Großproduktion geht, und das ist nicht wenig. Der Regisseur Dominik Graf ist für Kino & Fernsehen sowieso eine Bank, daneben Historiker und Autor von Essays zum Film. Seines deutschen Erbes ist er sich dabei außerordentlich bewusst.