FILMTIPP #78: UNTER DEN BRÜCKEN VON HELMUT KÄUTNER (D 1945/1949).

Im Inneren unseres Kino-Schiffes. Foto: F!F

Ein Kunstwerk, das es so eigentlich nicht geben nicht dürfte. Man reibt sich die Augen: Ein Film aus den letzten Tagen des Zweiten Welt­kriegs, poetisch, pro­le­tarisch und ohne manifesten Hinweis auf die in Deutsch­land in diesem Moment noch Herrschenden. Klarheit sollte allerdings auch darüber be­ste­hen, dass der Film nicht ohne die Beihilfe des Regimes ent­stand, ent­ste­hen konnte. Zu Beginn beendet Carl Rad­datz, der anderswo durchaus auch Na­zi-Helden spielte, eine Affäre mit einer jungen Frau, dar­ge­stellt von einer Neun­zehn­jäh­ri­gen (Hildegard Knef) aus der Ufa-Nach­wuchs­schule. Ge­dreht wurde teils in den Babels­berger Studios; eine Kahn­par­tie im Ber­li­ner Tiergarten ist als technisch aufwendige Rück­projektion zu erkennen. Bekannt war auch, was man an Käutner hatte, gehörte er doch für Jo­seph Goeb­bels zu den Nach­wuchsregisseuren, die man auf „zeit­nahe Stof­fe“ an­setzen könnte; der Herr Mini­ster wünsche, heißt es in den Akten, „von Fall zu Fall über den Einsatz des Spielleiters Käutner unterrichtet zu werden“.

Andererseits ist der Film immer noch wunderbar anzusehen, leicht, sprühend witzig, mit viel Berliner Schnauze, die ihren Charme auch aus dem Improvi­sieren der überzeugend berlinernden Hauptschauspieler bezieht. Manches ist gar nicht oder schwer zu verstehen, was dem Vergnügen kaum Abbruch tut – dafür gibt es den Alltagslärm von Motoren, von den Straßen der Stadt, in stilleren Momenten das Quaken der Frösche und das Schnattern der Enten. Wir als Filmfreunde waren sehr dankbar für eine neu gemasterte Ton­fassung, die uns René Ruppert zur Verfügung stellte, der in jenen Tagen noch mitten in seiner Dissertation über den Regisseur Helmut Käutner steckte. Der Clou unserer Aufführung von Unter den Brücken war der Ort, das Innere, „der Bauch“ eines ähnlichen Frachtkahns, wie er im Film zu sehen ist. Die Cas­sian Carl lag sonst in Mainz und war von einem Bauun­ter­nehmer umge­baut worden, der an Bord Konzerte, Tanzveranstaltungen und dergleichen durch­führen wollte. Diesen, für ein paar Tage unseren Kahn nutzen wir für eine Woche „Kino auf dem Strom“. Zu dem Käutner-Film kamen zu der ein­führenden Gesprächsrunde der Filmwissenschaftler Norbert Grob und mit Sebastian Schnurr ein Kurator der Mur­nau-Stiftung, die das Deutsche Film­erbe von vor 1945 verwaltet.

Carl Raddatz und Gustav Knuth brillieren als unterschiedliche Typen, die ge­meinsam einen Kahn betreiben und dabei die meiste Zeit „am Haken hän­gen“: Sie werden in einem Schleppverbund mit anderen ge­mein­sam gezogen, denn ihr eigenes Schiff hat noch keinen eigenen Motor. Das zu ändern ist eines der Ziele der beiden Freunde, die sich die meiste Zeit ziemlich gut ergänzen. Der eine, Hendrik (Raddatz), ein Tatmensch, stra­te­gisch, charmant und clever, der andere, Willi (Knuth) herzlich, doch oft zu gutmütig. Die bei­den sind selbst schon ein gutes Paar, doch fehlt beiden – die Frau. Das än­dert sich, als Anna (Hannelore Schroth) an Bord kommt. Anna hat Probleme, die sich aus ihrer Einsamkeit ergaben – sie war aus Schlesien nach Berlin ge­kom­men und hatte sich in der Großstadt auf einen Maler einge­las­sen, der sie nackt malen wollte. Diese Spur führt den Film zu kaum ver­klau­sulierten ironischen Seitenhieben auf die Kunstpolitik des Regimes, das Nacktheit als Ideal for­cierte, ohne Erotik öffentlich werden lassen. Darum, wer Anna in sein Schlaf­zimmer führen darf, geht es in Unter den Brücken auch. Käutner machte aus dem Thema einen kleinen, lockeren Film mit char­manten Wen­dungen. Be­deu­tend ist, wie oft im leichten Gen­re, dennoch die Spur der Ge­schichte, oder beim Film: Ansichten und Zeichen der Zeit, die ein­ge­wo­ben sind, ohne aufdring­lich oder wie ein erhobener Zeige­fin­ger zu wirken.

„Silberhell hör ich‘s lachen“, knurrt Knuth einmal gegen Ende. Silberhell hätte die Zu­kunft des Films in Deutschland werden können. Unter den Brücken wäre als ein möglicher Auftakt zu denken für neue, amüsante Tonkomödien aus Deutsch­land – Ansätze dafür gab es bis weit in die 30er Jahre. Mit den 50ern wurde Unterhaltung hierzulande allerdings ziemlich platt; Käut­ners zwis­chen den Zeiten ent­standener Film wäre auch dann als Sonderfall erschienen. Ih­rer­seits zur Ausnahme wurde in den 50ern eine Reihe von zeitnah-authen­ti­schen Filmen, die erst seit kurzem neu geschätzt werden. Käutners Bei­trag zu die­sem„gelieb­ten und verdrängten“ Erbe war Schwar­zer Kies (1961), eine Ge­ne­ralab­rech­nung mit dem amerik­anisch grun­dierten Wirt­schafts­wun­der – ein Film auch für Rheinhessen, weil er von den An­fän­gen des Flugha­fens Hahn im Hunsrück erzählt. Unter den Brücken deutet nicht zuletzt an, was dem deut­schen Film nach dem NS-Regime an Chancen tatsächlich offen­ge­standen hätte.

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