FILMTIPP #81: KRIEGSFILME SEHEN.

Foto: F!F

Chri­sto­pher Nolans Dun­kirk (2017) ist ein gutes Beispiel, um in Faszi­nation und Technik des widersprüchlichen Genres Kriegs­film einzu­lei­ten. Der Block­bu­ster ist zuerst ein combat movie, ein Drama, das Männer miteinander aushandeln; Frauen kommen auch vor, als Kran­ken­schwe­stern, anderswo sind sie Opfer oder Geliebte.

Herausragend ist Dunkirk in zweierlei Hinsicht. Der Film bietet den CGI-state of the Art. Schiffe und Flugzeuge wirken äußerst au­then­tisch. Dazu erzählt No­lan in drei Strängen, die er erst nach 70 Mi­nu­ten Film­zeit zusammenführt; die Geschich­ten widmen sich einem Spit­fire-Pilo­ten, dem eine Stun­de seiner Flugzeit gegönnt ist; ei­nem Trawler, der von drei Engländern Richtung Dün­kirchen und der dort einge­kes­sel­ten Bri­ten geschippert wird, um möglichst viele Männer zu ret­ten, mit einem Tag Erzählzeit; schließlich den Truppen, hun­dert­tau­sende Sol­da­ten, die eine Woche lang am Strand fest­sitzen und hoffen, aus der Falle zu ent­kommen. Der Film ist per­fekt ge­macht und hervor­ragend erzählt. Wir Film­freunde haben dem Rechnung ge­tragen, indem wir Dunkirk, das nicht zuletzt patriotische Drama, in dem der Feind, die Deutschen, nur kurz und sche­menhaft kenntlich wird, für einen unserer be­son­deren Orte gewählt haben. In ei­nem Hangar des Flughafens Mainz-Finthen korres­pon­dierten die histori­schen Flie­ger mit Kleinflug­zeu­gen, wie man sie im Rhein-Main-Gebiet heute für zivile Zwecke nutzt (s. Foto).

Ein anderer Aspekt, der das Genre Kriegsfilm dauerhaft erfolgreich macht, ist die Erinnerungslust, die mit ihnen verbunden werden kann. Besonders der amerikanische Film zeigt Interesse, natio­nale Reizthemen oder gar Traumata, von denen Vietnam das populärste ist, auf die Lein­wand zu bringen. Früher waren das der Erste Welkrieg (All quiet on the Western Front), Pearl Har­bour (From Here to Eter­nity, Casablanca), die Landung in der Nor­mandie (Saving Pri­va­te Ryan), zuletzt die zwei­felhaften Satelli­ten­krie­ge, die von der Welt­macht USA geführt wurden. Es geht im Kino jedoch um mehr als zeiträumlich distanzierte Schaulust; es gibt auch das Bedürfnis, sich an die Leiden, an die Traumata ver­gan­gener Ge­ne­ra­tio­nen zu erinnern und so nicht zuletzt Geschichte zu ver­ste­hen. Und hi­sto­ri­sche Erinnerung muss immer neu und zeitgemäß ge­stal­tet wer­den, um weiter zu wirken. Das macht Dunkirk so wirkungsvoll, ebenso wie 1917 (2019, von Sam Mendes). Ein Beispiel, wie Erinnern schwä­cher wird, wenn es versteinert: Am Mittelrhein stehen fast in jedem Dorf noch ein Kriegerdenkmal (bemerkenswert: das Wort ruft den Krieger auf, nicht den Krieg); das größte von allen, das Nieder­wal­denk­mal über Rüdesheim, ruft in seiner Inschrift den Franzo­sen­hass des Er­sten Welt­kriegs auf, und ist heute dennoch eines der beliebtesten Ausflugsziele der Region.

Michael Ciminos The Deer Hunter (1976) bleibt als Kriegsfilm wir­kungs­voll, weil er das Pathos auf die Ebene unzerstörbarer Freundschaf­ten hebt. Fast eine Stunde dauert es, bis die Haupt­fi­guren final etabliert sind, in einer russisch-orthodoxen Hochzeits­zeremonie, die mit Krieg nicht das Geringste zu tun hat. Es folgt der Sprung in den Dschun­gel, später ins besetzte Sai­gon, wo die Freun­desliebe auf äußerst harte Pro­ben ge­stellt wird. Das Schluss­bild ist wieder vom Pathos getragen und wäre in einem deutschen Film undenkbar: Die Über­lebenden haben sich zu einer Feier versam­melt, um der Toten zu geden­ken. Zögernd lotet man den Grat zwi­schen Unverbindlichkeit und Berührtsein aus. Dann fällt die Grup­pe in das gemeinsame Singen von „God bless America“ ein.

Und dann gibt es oft das hohe Lied der Menschlichkeit, das Für-den-Ande­ren-Dasein mitten im unmenschlichen Geschehen. Dunkirk ist voll da­von. Zentral steht das Motiv im Handeln eines pazifistischen Sanitä­ters in Hacksaw Ridge (2016) – ausgerechnet von Mel Gibson, der sich in vielerlei Filmen mit äußerst direkten, gewalthaltigen Bildern immer wie­der um die Begründung eines „gerechten Krieges“ bemüht hat.

Vielleicht ist die Wirkung von Filmen auf die Emotion zurückführen, die man hatte, als man in seinem eigenen Leben die erste Begegnung mit einer neuen, aufregenden Thematik hatte. Fragt man mich nach dem Kriegs­film mit den größten Folgen, komme ich auf Die Brücke (1959). Das liegt an der Un­be­stech­lichkeit des Schweizers Bernhard Wicki, aber auch daran, dass es überhaupt einer der er­sten Filme war, die ich auf einer Leinwand sah, bei der Natur­freun­de­jugend. Eindrücke aus der Kindheit kommen jedes Mal hoch, wenn ich den Film sehe, vor allem das klirrende Quietschen der Panzer­ket­ten, die lange zu hören waren, ehe die Kolonne wie eine Na­tur­gewalt über die enge Dorfstraße donnerte.

Gedreht wurde Die Brücke in Cham in der Oberpfalz. Fährt man dort­hin, sieht man nicht viele Ver­än­derun­g in der deutschen Provinz. Wicki nimmt sich sehr viel Zeit, die sieben Ju­gendlichen vorzustellen, jeden in sei­ner spezifischen Situation. Alle haben stimmige Gründe, so zu sein, wie sie sind, doch alle eint der Wille, et­was fürs Vater­land zu tun; so falsch der Begriff, so falsch die fanati­sche Über­zeu­gung der in die Schuld Ge­führten. Letztendlich belehrt nur die Kata­stro­phe des Besse­ren. Tat­säch­lich ist Die Brücke nichts anderes als das Plädo­yer, aus der kleinen für die große Geschichte zu lernen.

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