Derzeit ist im Kino der vergnügliche House of Gucci mit Adam Sandler und Lady Gaga zu sehen. Erzählt wird in der Hauptsache von einer Ehe sowie familiären Intrigen, die sich hinter der großen Marke verbergen. Indirekt lässt sich hier darüber nachdenken, warum Menschen, die hinter einer Marke wie Gucci stecken, etwas Besonders sein müssen, und warum Kunden bereit sind, mehr Geld für ein Produkt zu bezahlen, wenn ein ganz bestimmtes Logo darauf klebt.
In The Lost Leonardo geht es im Prinzip um dieselbe Sache. Ein eher unscheinbares, dazu stark angegriffenes Bild wird von einem Kenner sowie seiner Frau, einer Restarautorin, zu einem “Leonardo” hin restauriert. Spezialisten wie der ehemalige Berliner Museumschef Lindemann lehnen das Bild ab oder würden es aufgrund seiner fraglichen Provenienz seriöserweise nicht als Original ausstellen. Der weltweit als Da Vinci-Kenner anerkannte Frank Zöllner äußerst sich ähnlich vorsichtig (hat aber mittlerweile in Artibus et Historiae einen Aufsatz veröffentlicht, der zur Autorschaft von Leonardo neigt). Weitere seriöse Stimmen wie die von Martin Kemp aus Oxford sind im ersten Teil des Films, “The Art Game”, zu vernehmen.
Das zweite und längste Kapitel, “The Money Game”, zeichnet die sich immer schneller drehende Preisspirale um den Salvator mundi – ein segnender Christus in Halbfigur – nach. Die Preise, die mit dem Bild erzielt wurden, steigern sich von 1.175 Dollar für das ursprünglich in New Orleans gefundene Bild über zwei- und dreistellige Millionenbeträge auf die sagenhafte Summe von 400 Mio. US-$, mit Aufgeld 450,3 Mio., erzielt im November 2017 bei Christie’s in New York.
Von einem Teil der Protagonisten des zweiten Teils muss man nicht annehmen, dass sie sich groß mit der Ikonographie oder der Ausstrahlung des Gemäldes beschäftigt haben. Befeuert von einer frühen Ausstellung in der Londoner National Gallery, in der das Bild noch unter “School of Leonardo” lief, treten hier sinistre Gestalten wie der Schweizer Geschäftsmann auf, der das Bild einem russischen Oligarchen weiter verkauft, um “saubere” Vermögenswerte im Ausland zu ermöglichen, und dabei knappe 50 Mio. US-$ Gewinn macht. Die Guten in diesem spannenden Teil des Films sind investigative Journalisten, die all die Geschäftmacherei aufdecken; daneben treten Kunstkritiker und -autoren auf, die das Spiel ebenfalls durchschauen, zum Teil aber mitspielen.
Es ist an dieser Stelle möglicherweise hilfreich, die Unterscheidungen einzuführen (und etwas zu erweitern), die Walter Benjamin im Rückgriff auf den Kunsthistoriker Alois Riegl eingeführt hat: ausgehend vom Materialwert, der sich für die Walnusstafel, Farben und Pinsel beim Salvator Mundi auf etwa 30 heutige Euro belaufen dürfte, kam Riegl auf den Alterswert, der dem Kunstwerk im Laufe seiner historischen Karriere zuwachse und den man vom Historischen Wert (als Geschichtsquelle) noch einmal absetzen könne. Benjamin, der bereits vom materialistischen Charakter jeglicher Kunst ausging, fügte der Diskussion die Begriffe Ausstellungs– und Kultwert hinzu, die in unserem Fall besonders greifen. Schließlich gibt es noch den Investitionswert, der sich in Aufwand und Ausbildung niederschlägt.
Solche und ähnliche Definitionen diskutiere ich derzeit in einer Vorlesung “Zum Schönen”. Als Ausgangspunkt diente eine Aufstellung der zehn teuersten, d.h. eigentlich nur: höchstbezahlten Gemälde, die je in Auktionen verkauft worden sind (s. Foto). Es verwundert nicht, dass der Salvator mundi hier an der Spitze steht; eher schon, dass außer ihm nur Werke der klassischen Moderne gelistet werden. Ein Studentin brachte die Beobachtung ein, dass es sich ausschließlich um Männer-Künstler, bei der Hälfte der Bilder aber um das Motiv nackter Frauen handle. Stärker abgelehnt als der freilich exorbitante Preis, den der Salvator mundi erzielte, wurden in diesem Kreis die Verkaufserlöse in Moderne und Postmoderne. Sie belegen ja auch durchweg kein klassisches Künstlerkönnen mehr, sondern haben ihre Stärke im Konzeptionellen, im puren Denkanstoss. Antworten lässt sich auf entsprechende Kritik mit einer klassischen Passage der Kunstessaystik nach dem Ende der Kunst, die doch auf das Weiterleben der Kunst pocht, weil sie lebensnotwendig ist: “Man denke … an die Mehrzahl der Kunstwerke des 20. Jahrhunderts, das heißt an eine Kunst, deren Ziel nicht die Schaffung von Harmonien ist, sondern die Überdehnung des Mediums und die Einführung immer zerstörerischer und unlösbarer werdender Probleme. Die Erlebnisweise beharrt auf dem Prinzip, dass ein Oeuvre im alten Sinne … nicht möglich ist.” (Susan Sontag)
Ein Werk im alten Sinne ist der vermeintliche Leonardo. Und doch tritt er noch einmal in ein neues Spiel ein, das “World-Game”, das der dritte Teil des Filmes zeigt. Es stellt sich heraus, dass der seinerzeit anonyme Sieger der Bieterschlacht bei Christie’s der Scheich und Staatschef von Saudi-Arabien gewesen ist. Mohammad bin Salman, kurz MBS, will das Gemälde zum Zweck der political utility, das heißt: zur Vermehrung von Ansehen einsetzen, des eigenen und seines Landes. Einen ersten Versuch dazu unternahm er anlässlich einer Leonardo-Ausstellung im Louvre 2018. Der Plan offenbart sich im Film allmählich: Ziel all der Umarmungen Emanuel Macrons – der auch nur seine Agenda verfolgte – war es, die “männliche Mona Lisa”, den Salvator mundi, quasi Auge und Auge mit dem berühmtesten Gemälde der Welt im letzten Saal der Schau zu zeigen. Diesem Ritterschlag widersetzte sich am Ende die Direktion des Museums. Sie zeigte damit einen bemerkenswerten Zug kunsthistorischer Souveränität.
Der Ausstellungswert ist es, der die beiden Künste Malerei und Film miteinander verbindet. Beide haben hier ihre Qualitäten, die Malerei als historisch genuin allein stehendes Medium sogar über 500 Jahre hinweg. Zum spannenden Wechselverhältnis der beiden Künste und Medien gibt es zu seit einiger Zeit erfreulicher Weise eine ganze Reihe gewichtiger Publikationen.
Ein Unterschied: Bei bildender Kunst können und wollen möchten nicht alle mitreden, beim Film mehr oder weniger schon. Nicht zuletzt diese Bemerkung zeigt, wie lebendig der Film ist und im Kino hoffentlich auch noch lange bleiben wird. Und ein weiterer Unterschied: der oben eingeführte Investitionswert, der sich beim Film per se stets in einiger Höhe bewegt. Hier zeugt Geld tatsächlich von Lebendigkeit.