„Ass im Loch“ nannte Billy Wilder einen für die Paramount realisierten Film, der vom amerikanischen Publikum Anfang der 50er Jahre abgelehnt wurde und heute als Klassiker zur Wirkung von Massenmedien gilt. Ein Mensch steckt in einem Loch fest, ein anderer Mensch zieht daraus Gewinn, unter Hinzuziehung größtmöglicher Öffentlichkeit. Der Plot ging auf ein Ereignis des Jahres 1925 zurück, als ein Touristenführer in Kentucky 18 Tage lang verschüttet gewesen war und ein einziger Reporter von dem Fall berichtet hatte. Sein Lohn war der Pulitzerpreis.
Sechzig Jahre später war noch einmal Vergleichbares mitzuerleben, nun in unvergleichlich anderer Weise von Medien gecovert. 1985 steckte die 13-jährige Omayra Sanchéz nach dem Ausbruch eines kolumbianischen Vulkans drei Tage lang in einer Pfütze unter Trümmern fest, ehe sie entkräftet starb. Durchgehend wurden Fernsehbilder von der Qual des Mädchens übertragen. Die Steigerung trat ein Fotograf los, der das Kind drei Stunden vor dem Tod fotografierte und das Ergebnis meistbietend anbot. Paris Match brachte das Ganze schließlich als Titelbild, mit der Beischrift „Adieu Omayra“. Medienethiker prangern in solchen Fällen die Geilheit des Nachrichtengeschäfts an. Exploitative Blicke sind andererseits Teil des täglich versendeten medialen Angebots.
Ace in the Hole, historisch genau zwischen diesen beiden Ereignissen angesiedelt, hat nichts weniger als einen dokumentarischen Ansatz. Zwar weist der Film für einen Hollywoodfilm der Zeit ungewöhnlich viel Location Shooting auf. Nach dem Dreh war man sich nicht zu schade, das Außengelände für Schaulustige gegen Eintritt zugänglich zu machen. Weil vom fertigen Film hier nichts mehr zu sehen war, siegt bereits da der mediale Effekt über Faktisches. Wilder zielte auf diesen Effekt, mehr noch, er dehnt ihn ins Unerträgliche. Sein fiktives Opfer, der verschüttete Ladenbesitzer Leo Minosa (Richard Benedict), könnte in 18 Stunden gerettet werden. Dafür wäre nur der direkte Zugang zu ihm freizuräumen. Eine unheilige Allianz verhindert das: ein Zeitungsmann, der eine Riesenchance wittert, ein Sheriff, der wiedergewählt werden will, ein Ingenieur, der Skrupel hat, aber Arbeit für eine Woche sieht. So lange dauert es, einen Schacht von der Bergkuppe hinunter zu Leo zu graben. Alle vier werden gemeinsam berühmt, für diese eine Woche. An ihrem Ende stirbt Leo infolge seiner Erschöpfung und Schwäche.
Die Ortswahl abseits aller Metropolen ist story-driven: die Bühne, ein verlassenes Bergwerk mit dem Kramladen Leos davor, muss leer sein, bevor der Reporter Chuck Tatum (Kirk Douglas) sie zusammen mit dem jungen Fotografen Herbie betritt. Der Rookie sperrt alle Ohren auf, wenn der in New York gescheiterte Zeitungsmann im besten Wilder-Idiom über die alte Heimat spricht. Er vermisse gefüllte Gänseleber, die New York Yankees und ein 80-stöckiges Hochhaus, von dem man notfalls springen könne. Seit einem Jahr ist er stattdessen in einer dünnbesiedelten Gegend New Mexicos gestrandet; seine Stadt heißt nun Albuquerque, von dem Neil Young später singen sollte, er führe dorthin, wenn er mal ganz allein sein wolle.
Zeitungsseiten, Leinwände, sie füllen sich bald ebenso rasch wie der reale Ort bei Gallup, New Mexico. „We’re coming, Leo“, tönt ein zusammengeschusterter Schlager, und es kommen immer mehr, in Autos, Bussen und dem Leo-Minosa-Sonderzug. 2000 Statisten, 600 Autos und LKWs für die Totalen vom bunten Treiben mit Rummelplatz und Riesenrad ließ sich das die Produktion kosten. The Big Carnival war der Titel, mit dem die Paramount dann startete. Auch das nützte an der Kinokasse nichts. Denn die Anklage des Films, sie traf und trifft kein Individuum, sie trifft das große, anonyme Publikum. Wichtig ist, dass niemand aus der Menge kenntlich wird. Eine Ausnahme ist der erste Mensch auf dem Platz, ein Vertreter, der jedem Gesicht, das sich ihm zuwendet, eine Versicherung verkaufen will. Allein an dieser Karikatur wird die Parabel deutlich.
„Der Einzelne“, so Wilder ironisch im Rückblick, „mag noch so dumm sein, als Publikum, zusammen mit tausend anderen, ist er ein Genie. Er hat immer recht.“ Ace in the Hole war dahingehend kein Glück beschieden; die Produktion floppte, wurde zum „kommerziellen Film Maudit“ (Axel Madsen). Zwar wurde das Originaldrehbuch 1952 für den Oscar nominiert und gewann in Venedig im gleichen Jahr den Goldenen Löwen. Die Anerkennung der Eingeweihten kann aber nicht verdecken, dass der Film erst wirklich reüssierte, als er in den Nuller Jahren für das Heimkino neu entdeckt wurde. Die DVD der Criterion Edition lässt heute keine Wünsche mehr offen.
Es wäre zu einfach, das Scheitern an der Kasse darauf zurückführen, dass das Publikum sich nicht so sehen wollte wie im Film. Das hatte schon gelernt, so Erwin Panofsky 1947, eine Filmhandlung selbst zu interpretieren. Wilder und seine Ko-Autoren bauten weitere Widerhaken ein, die dem Film zum Verhängnis wurden, wie die Wandlung des Journalisten, der als „Reporter des Satans“ antritt, doch umso mehr Skrupel zeigt, je länger das Elend dauert. Am Ende verkündet er wie ein moderner Moses vom Berg herab das Ende der Show.
Einzelne sind in medialen Konstellationen selten allein verantwortlich. Es gibt immer auch den Apparat. Ace in the Hole wurde als Vorwegnahme der Wirkung des Fernsehens genommen, das damals noch ein Medium gesellschaftlichen Konsenses und ohne kritische Funktion war. Druck übt dagegen die gedruckte Presse aus. Angeblich der Wahrheit verpflichtet, wie als Motto zu lesen ist, entdeckt sie den menschlichen Faktor („The Human Interest“ war der Arbeitstitel des Films). Und bald sind sich die Zeitungen, Wahrheit hin oder her, für Schlagzeilen wie „Uralter Fluch begräbt Mann“ und „König Tut in Mexico“ nicht mehr zu schade. Man kann sich vorstellen, wie heiß diese Maschine heute im Internet laufen würde, in Livetickern, auf Twitter. Die ungedrosselten Tränenströme falscher Anteilnahme, sie spürt man freilich schon bei Wilder.
Die Begründung des Production Code, den Film passieren zu lassen, legt eine weitere Sollbruchstelle frei. Weil Tatum am Ende selbst stirbt, könne „die Mixtur aus indianischen Heilungs-Zeremonien und legitimer Fürbitte für den eingesperrten Mann“ hingenommen werden. Legitim, das Wort spricht Bände: Die hegemonial ausgeübte christliche Religion soll jeder anderen überlegen sein. Kritiker fanden denn auch Hinweise auf das Buch Genesis – in sieben Tagen wird mal wieder die Welt neu erschaffen –, die obligatorisch-böse Eva, die Schlange. Die Zeichnung von Leos Frau Lorraine (Jan Sterling), die anfangs ihren Mann verlassen und den Unfall dann maximal nutzen will, wäre eigens zu untersuchen. Lorraine sind die besten, bei Wilder also zynischsten Sätze vorbehalten.
Katastrophen, Unfälle, Tragödien sind in der Regel nicht von Menschen gewollt und gemacht. Sie werden aber von Menschen für Menschen in Szene gesetzt. Dazu braucht es Medien. Und Leute wie Chuck Tatum, den man als Urahn aller korrupten Filmreporter begreifen kann. Sein Schöpfer Billy Wilder hat das Phänomen des medialen Katastrophentourismus als Geburtsakt porträtiert.
Doch zeigt Wilder, in wenigen Hinweisen, auch eine still-leidende, ganzheitliche Welt. Sie funktioniert als Gegenentwurf zu dem Hype, den Mediennutzer tagtäglich als Welt verstehen. Die Ikonografie dieser Ursprungswelt führt ins Geburtsjahr des Films zurück: Der Kulturforscher Aby Warburg suchte 1895 in denselben Kultstätten wie Leo Minosa nach indianischen Töpfereien. Was er fand, waren Hinweise auf ein bizarres Schlangenritual der Ureinwohner – mit Klapperschlangen, wie sie grumpy white men in Ace in the Hole zur Unterhaltung nutzen. Der amerikanische Urgrund, schrieb Warburg, sei „zweifach kontaminiert“, von „einer spanisch-katholischen Kirchenerziehung“ und „einer Schicht nordamerikanischer Erziehung“. Media-made-America, wäre zu ergänzen.
Dieser Text erschien erstmals in der Reihe „Rewind“ in epd Film, Heft 12/2020.