Ein Baby kommt zur Welt, und manchmal ist daran etwas falsch. Im Fall von Wanda – mein Wunder (Bettina Oberli, Ch 2020) ist es die Kindsmutter, Wanda aus Polen. Wanda ist eigentlich bei der wohlhabenden Familie Wegmeister-Gloor angestellt, um den bettlägerigen Firmenchef und Familienvater Josef zu pflegen. Der hat, trotz Frustration und Alter, noch sexuelle Bedürfnisse. So kommt es, dass Wanda den ausgehandelten Mindestlohn ein paar Mal um einen Tausender aufbessert, indem sie sich Josef zur Verfügung stellt. Mit ihrer alten polnischen und – gegen zahlreiche Widerstände – auch ihrer neuen schweizer Familie wird sie die Folgen der Schwangerschaft bis zum letzten Story-Turn austragen. Diese Folgen sind grotesk bis hanebüchen und nur für uns lustig. Nichts bleibt, wie es war.
Zwei Kinder kommen zur Welt. Auch daran ist etwas falsch. Eines der beiden Babys stirbt an plötzlichem Kindstod. Das andere wächst in der Obhut von Janis (Penélope Cruz) heran, der jedoch dämmert, dass auch hier etwas nicht stimmt: Ein Gentest macht klar, dass die 17-jährige Ana (Milena Smit) die biologische Mutter des Mädchens ist, die Bekannte aus der Phase der Geburt, die Janis’ Kind verloren hat. Im Krankenhaus wurden die Babys vertauscht. Die Annäherung der zwei Frauen bildet den Erzählbogen des Films, obwohl die Voraussetzungen kaum unterschiedlicher sein könnte: Ana wurde von ein paar Jungs zum Sex gezwungen und hat auch sonst kaum Halt im Leben; doch sie kämpft. Janis hingegen ist als Fotografin erfolgreich, sie kommt gut klar. Schwanger wurde sie durch eine Affäre mit einem forensischen Anthropologen. Das Kind will sie allein aufziehen. Was eine typische Almódovar-Farce hätte werden können, mit schrillen, sich selbst bis zum Gehtnichtmehr selbstverwirklichenden Frauen, ist tatsächlich eine ungewohnt ruhige, psychologisch feinfühlige Tragödie. Aus dem Zustand Parallele Mütter wird langsam und glaubwürdig ein zeitgemäßes Familien-Patchwork.
In Wanda sind die Figuren hingegen klar schematisiert: die Polen sind die Guten, sie zeigen überbordenden Familiensinn und einen Zusammenhalt, der auch over-the-top gehen kann; dann wird es schon mal bizarr. Doch das ist nichts gegen die schweizer Ego-Monster, allen voran Sophie (eindrucksvoll: Birgit Minichmayer), die Tochter, die mit ihrem Mann keine Kinder haben kann und zeitweise auf ein Leihmutter-Modell setzt, das sie Wanda gerne vergolden würde. Und zwar mit der Zustimmung ihrer Familie – allesamt Typen, die durchaus Klischees erfüllen, wie etwa die Mutter, die immer mühsamer die bürgerliche Contenance bewahrt, oder der Bruder, der in seinem Leben wenig Zählbares hinbekommt. Auch hier steht das Funktionieren der Familie im Fokus. Und diese funktioniert wie scheinbar in der ganzen Schweiz, wo Konflikte unter dem Teppich schwelen und dort gern auch ausgetreten werden, so lange es möglich ist, und wo Geld durchaus viele Probleme löst. Übrigens ist der Film gegen alle Gewohnheit nicht im schweizer Dialekt, sondern hochdeutsch gedreht, was seine Botschaft wiederum universell macht.
Auch Parallele Mütter, der Film aus Spanien, hat eine Beziehung zu seinem Land oder genauer, zu seiner Geschichte: Die wie immer beeindruckende Penélope Cruz alias Janis ist von der Idee besessen, in ihrem Heimatdorf die Opfer eines falangistischen Massakers zu exhumieren, zu denen auch ihr Uropa gehörte. Eben darum hatte sie anfangs den Anthropologen kontaktiert, der dann der Erzeuger ihres Kindes wurde. Dass dieser Wissenschaftler am Ende zum Erfolg der humanistischen Mission und auch zum bemüht wirkenden, familialen Happy-End beiträgt, zeigt nebenbei, wie uneingelöst derartige Formen der Erinnerungsarbeit für die spanische Demokratie noch immer sind. Damit wird dem Film eine Bürde auferlegt, unter der er ein wenig ächzt. Eher überzeugen die alltäglichen Verwirrungen und die Versuche der Handelnden, damit zurecht zu kommen.
In all ihrer Unterschiedlichkeit lässt sich für beide Filme ein gemeinsames Fazit ziehen. Ich ziehe dafür Gedanken und Worte des Mediävisten Erich Auerbach aus seinem großen Buch Mimesis (d.i. die Widerspiegelung geschichtlicher Ereignisse in Wort und Bild) heran. In modernen Erzählungen beträfen die dargestellten Zufallsmomente des Lebens das Gemeinsame der Menschen überhaupt: “Unterhalb der Kämpfe und auch durch sie vollzieht sich ein wirtschaftlicher und kultureller Ausgleichsprozess; es ist noch ein langer Weg bis zu einem gemeinsamen Leben der Menschen auf der Erde, doch das Ziel beginnt sichtbar zu werden.”