FILMTIPP #9: EIN ÜBERBLICK ZU FILMEN AUS UND ÜBER DEUTSCHLAND.

Alles in Ordnung mit dem Deutschen Film? Mitnichten. Die Qualität ist im Gro­ßen und Ganzen wie gewohnt: wenig Schlechtes, der Großteil o.k., manches gut bis herausragend. Jedoch – die Filme sind nicht mehr sichtbar. Konnte man 2020, kurz vor Corona, die Literaturverfilmungen Narziss und Goldmund (er­staun­lich o.k.) und Berlin Alexanderplatz (attraktiv, nicht überragend) noch im Kino sehen, glänzen sie auf den entsprechenden Plattformen im Netz durch Abwesenheit.

Rainer Werner Fassbinder, der letzte Große, der sich am Alexanderplatz versucht hat, wäre an diesem Sonntag 75 Jahre alt geworden. Obwohl ich den Eindruck ha­be, dass der Name des Regisseurs bekannter ist als sei­ne Filme, überstrahlt er zusammen mit Wim Wenders und Werner Herzog heute noch den deutschen Film; in einigem Abstand folgen diesem Trio Edgar Reitz, Volker Schlöndorff, vielleicht noch Margarethe von Trotta. Alles ältere Semester. Von den Jüngeren konnte sich nur Tom Tyk­wer einen vergleichbaren internationalen Namen machen, dreht nun aber schon lange in den USA. Was ha­ben sie alle gemeinsam? Es gibt (ohne Auf­preis) so gut wie nichts von ihnen bei Netflix, Amazon und Co.

Bedeutet das Label “Fassbinder” noch etwas? Im Gegensatz zum Exzen­triker Her­zog und dem milden Philosophen Wenders, die beide nur noch mit do­ku­men­tari­schen Arbeiten Aufmerksamkeit erzielen, ist der Typus Fassbinder durchaus aktuell. Es ist der aufgeklärte Intellektuelle, der sich einerseits weit über jenem Volk sieht, das sich durch Nachmittagsserien im Fernsehen einlullen lässt, und der an­de­rer­seits genau jene “Massen” pro­vozieren will. Oskar Roehler wäre so ein Typ, sein Film HERRliche Zeiten (2018) entsprechend provokant, zumal sich Rohler von dem rechtsextremen Autoren der Romanvorlage deutlich distanziert hat. Aber auch dieser Film ist seit kurzem nicht mehr im Streaming-Angebot.

Zu sehen ist auf Amazon Prime Der Hauptmann (Robert Schwentke, 2018), eben­falls provokant: eine zynische Variante des Hauptmann von Köpenick, nun über die End­zeit des Zweiten Weltkriegs. Ein Deserteur der Wehrmacht tritt mittels einer ge­fun­denen Uniform erneut in den Dienst ein, schart ein Kommando um sich und lässt es, kurz vor dem Unter­gang, noch einmal richtig krachen. Der Film er­zählt vom Oberflä­chen­glanz militärischer Macht, ist aber ein Stück Qua­li­täts­kino. Das hat er mit Inglorious Basterds von Quentin Taran­tino ge­mein­sam. Bei­de Fil­me sind in der schmucken Stadt Görlitz an der Neiße ge­dreht, die ich des­we­gen mal bereist habe. Es hat sich gelohnt – nicht, weil ich dort noch etwas über den Krieg erfahren habe, doch immerhin über einen ge­lungenen “Auf­bau Ost”.

Beeindruckender zum Thema Holocaust ist jedoch das hochdekorierte Auschwitz-Drama Son of Saul (László Nemes, 2015). Hier lohnt der Streaming-Aufpreis unbedingt! Der Film ist Teil des anhaltenden ungarischen Kinowunders, von dem F!F dieses Jahr gerne schon das romantische Drama Körper und Seele gezeigt hätte und noch immer zeigen will – ein Film mit einer vor kurzem noch ungeahn­ten Ak­tua­lität, spielt er doch in einem Schlachthaus. Ich frage mich, warum es bei uns selten bis nie gelingt, Filme von derart verdichteter Poesie zu schaffen, und wünsche gerade ihnen mehr Zuschauer. Son of Saul beispielsweise haben hierzu­lan­de, laut Filmförderungs­anstalt, keine 10.000 Menschen im Kino gesehen.

Der erfolgreichste deutsche Film von 2019, Systemsprenger, ist im Netz ansehbar (s. Film­tipp #2). Ebenfalls mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde Es gilt das gesprochene Wort von İlker Çatak, den F!F nach heutigem Stand im August zeigen wird. Auf zwei “unsichtbare” Filme will ich noch hin­weisen. Zum einen den in seiner Kargheit beeindruckenden Film Exil von Visar Morina, mit Mišel Matičević und Sandra Hüller: beein­druckend vor allem durch die Lei­stun­gen der Schauspieler, die das Drama um den aus dem Kosovo stam­menden Phar­maingenieur Xhafer tragen, der in der Firma drangsaliert wird und den Stress auf seine deutsche Familie überträgt. Es geht um Exil in der neuen Heimat, sozu­sa­gen. Der zweite Film heißt Alles ist gut und war der Abschluss­film von Eva Trobisch an der HFF Mün­chen von 2018 (unser Foto). Ein Frau wird nach einem Klassen­treffen von ei­nem ehe­ma­ligen Mitschüler bedrängt und zum Sex genötigt. Sie lässt das Ganze über sich er­gehen. Dann trifft sie den Täter wieder, am Kopie­rer ihrer Firma, als neuen Kol­le­gen. Die Frau wahrt die Fassade. Innerlich zer­bricht sie. Nicht-spe­ku­la­tiv und eindringlich, so kann Film eben auch sein. Und immer am besten: im Kino.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert