Schauplätze waren wichtig für Alfred Hitchcock. In seinen Filmen haben sie einen eigenen Charakter, werden zu Mitspielern und kenntlich fast wie ein Mensch. Jeder Film entwickelt so seine Physiognomie. Bekannte Bauwerke, die Hitchcock gern ins Bild rückte, repräsentieren nicht, sondern wirken in oft verstörender Dimension auf verunsicherte Menschen. Aufgabe des aktiven Zuschauers ist es, aus den hinweisenden Zeichen im Lauf des Sehens und mit Hilfe der immer zuerst kognitiv orientierten Perzeption sein eigenes, erlebtes Bild und damit die entscheidende emotional road map zu entwickeln.
Wenn er z.B. Holland zeige, bedeute das Windmühlen und Regenschirme, hat Hitchcock gesagt. Doch die Bilder von Foreign Correspondent (1940) sind alles andere als Postkarten, dazu entwickelt sich die Geschichte zu schräg. Ins Extrem getrieben hat Hitchcock sein Prinzip der beunruhigenden Umgebung in North by Northwest (dt. Der Unsichtbare Dritte, 1959), ein Film der selten unlogisch daherkommt und doch als Klassiker gilt. Die Handlung springt von der Ostküstenmetropole mit dem UN-Gebäude hinaus in die flache Landschaft des Midwest, wo in einer Wüstenei der berühmte Angriff durch ein Kleinflugzeug geschieht, um dann an den steinernen Köpfen des Mount Rushmore zu enden; als Bonus noch der letzte Match-Cut hinein ins Schlafwagenabteil, wo Held und Heldin in einer wiederum unwahrscheinlichen, befremdenden Idylle zusammenkommen.
Hitchcocks lange Hollywood-Phase von 1939 bis Mitte der 60er Jahre entspricht einem Produktionsmodus, der – nicht zuletzt dank der Vorstöße des englischen Meisters in Sachen Rückprojektion, Modelle, Bildkombinatorik – die naturalistische Einsehbarkeit der Bilder zugunsten erzählter, “falscher” Panoramaen verkaufte.
Es brauchte europäische Anstöße, um Hollywood vor der Blockbuster-Ära, die 1980 begann, etwas näher an ein realistisch-nachvollziehbares Bild zu bringen. Amerikanische Filme zuhauf hatten sich dem Mythos gewidmet, das Amerikaner besonders interessiert: die Vereinigten Staaten von Amerika. Mit der Generation des New Hollywood kamen dann auch gebrochene Autobiographien des Landes zum Vorschein: Bogdanovichs Last Picture Show (1971) etwa, die vom Nichtwegkommen aus dem eigenen Nest handelt, oder das Debüt von Terrence Malick, Badlands (1973), das den Preis des Abhauens nennt.
Die Badlands sind unruhige Erdoberflächen, die durch Erosion ihr Aussehen stetig verändern. Sie weisen Kämme und Täler auf, sind teils gefärbt und bieten Film- und Fotokameras potentiell spektakuläre Motive. Einzelne Western und Film noirs hatten sich dieser Motive bereits bedient und sie gern in eine Fluchtgeschichte eingebettet; allein oder zu zweit, dann Mann und Frau, den Topos gab es im amerikanischen Kino schon länger. Auch das Laszive zwischen den Geschlechtern ist nicht neu, dagegen das Zögern, dann die zunehmende Distanz von Holly (Sissy Spacek) zu Kit (Martin Sheen). Es ist, als sähen die Beiden dem Wachsen des eigenen Mythos zu und entfremdeten sich dabei. Als Film arbeitet sich Badlands an Bonnie and Clyde ab, vier Jahre zuvor von Arthur Penn inszeniert, genauso brutal, aber stilisierter und das Gangsterpaar am Ende geradezu feiernd. Robert Warshow hat in einem berühmten Essay gezeigt, wie der “Gangster als tragischer Held” zum Teil des amerikanischen Selbstverständnisses wurde.
In Malicks Film herrscht eine andere Tonlage. Kit wirft nach seiner Verhaftung Gegenstände in die Menge, als hätte er Fans, seine Verhaftung unterschreibt er wie ein Popstar ein Fanfoto. Das kommt nicht mehr heldenhaft daher, sondern zynisch. Äußerlich ist Kit an James Dean angelehnt, mit gefönter Tolle und weißem T-Shirt über den Levis’. Aber die Unschuld des Aufbegehrens ist verloren. Als Charakter skizzierte der studierte Philosoph Malick einen Existenzialisten, der sich auf dem Weg zum Abgrund weiß, diesen Weg aber in die Länge zieht und mit einer fünfzehnjährigen Freundin, geklauten Cadillacs und vor allem massenweise sinnloser Gewalt garniert.
Die Reise führt von einer kleinen Stadt in South Dakota nach North Dakota und von hier aus in die Badlands von Montana. Die Kamera von Takashi Fujimoto arbeitete sich an deren Oberflächen unvergleichlich ab – Erde, die keinen Halt mehr bietet. Soil ist eine amerikanische Grundmetapher; Malick hat sie zur Chiffre für den Kampf des Menschen mit seiner inneren Bestimmung wie kein anderer ausgeweitet, von Days of Heaven (1978) bis A Hidden Life (2019), über einen unbeugsamen Nazigegner. Das Land, die eigene Scholle, wie es früher einmal hieß, als Gegenspieler. “Keep pushin’ til its understood / And these badlands start treating us good” (Bruce Springsteen).