Eine Sonderform des Reisefilms ist die Expedition in unbekanntes Gelände, wo wissenschaftliche oder andere Erkenntnisse, doch auch vielerlei Gefahren auf die Reisenden warten. Diese Filmform hat auch in Deutschland lange Tradition. Uns Filmfreunden kommt daher eine Anfrage des Museums an der Kaiserpfalz zupass, eine Ausstellung zu den Naturforschern Alexander von Humboldt und Carlo von Erlanger mit einem Film zu begleiten. Wir haben den naheliegenden Griff zu Die Vermessung der Welt vermieden und stattdessen Christopher Nolans Interstellar (2014) gewählt. So schlagen wir, grob umrissen, die Brücke vom 19. zum 21. Jahrhundert und schließen alle Expeditionen ein, die, aus der Realität stammend oder dort auch nur irgendwie vorstellbar, auf Kinoleinwände gewandert sind.
Expeditionen werden oft von Führerpersönlichkeiten geleitet. Manche Ausnahmefigur blieb so der Nachwelt erhalten, die Namen von Begleitern und Opfern sind tendenziell vergessen. Nun haben aber gerade die Deutschen im 20. Jahrhundert schlechte Erfahrungen mit Führerfiguren gemacht. Heute wird hierzulande daher jeder, der den Anspruch, irgendwo vorne dran zu stehen, auf seine Tauglichkeit durchleuchtet. Im Film nach 1945 hingegen galt Einzelgängertum noch viel, oft in Verbindung mit der Verpflichtung auf eine nunmehr selbstgesetzte Moral. Männer wie Des Teufels General in Gestalt von Curd Jürgens waren von ferne zu bewundern, ihnen blieb aber allerdings in der Regel auch nur der Ritt in den selbst herbeigeführten Untergang.
Mit diesem abschließenden Tipp zur filmischen Reise und zur reisenden Filmfigur will ich an Klaus Kinski (1926-1991) erinnern, der Deutschen liebster Unhold und Selbstbeschädiger nach dem Krieg bis in die 80er Jahre. Und in zwei großen Filmen Werner Herzogs auch ein Anführer, in Fitzcarraldo (1982) und Aguirre, der Zorn Gottes (1971), der auf meiner Liste der besten Reisefilme auf Platz Zwei landet, ex-aequo mit Im Lauf der Zeit und Weit (beide in diesem Blog bereits besprochen). Vor den drei Produktionen aus Deutschland steht auf der Liste nur noch Easy Rider (1969), und zwar nicht, weil er ein künstlerisch überragender Film wäre, sondern weil er als perfekter Abdruck einer Zeit gilt, in der so Vieles neu gedacht wurde. An dieser Stelle könnte daher auch Antonionis Zabriskie Point (1970) stehen; über ihn an anderer Stelle mehr.
Kinski also, der sich in der Öffentlichkeit immer so rasch wie möglich unmöglich machte, literarisch und auch mit dem einzigen eigenverantworteten Film als großer Erotomane stilisierte, und dem Werner Herzog posthum das Porträt Mein liebster Feind (1999) widmete, das auch dem F!F-Publikum gut gefiel. Kinski ist zweifellos eine Figur der Zeitgeschichte, ein Liebling der 68er sowieso, zum Beispiel in der stumm-unversöhnlichen Auslegung seiner Figur in Il Grande Silenzio (1968), mit der Musik von Ennio Morricone – über den es neuerdings eine großformartige und großartige Doku von Giuseppe Tornatore gibt, die in Deutschland noch nicht zu sehen ist.
Kinski also als Magnet für Wut, Hass und Trauer, wie man sie allein Personen entgegen bringen kann, die einem medial-distanziert erscheinen, und als Figur, die eine spezifische Schuld auf sich nimmt und die man nicht zuletzt dafür auch achten darf. Selbst das Fernsehpublikum mochte den nicht sehr groß gewachsenen, drahtigen Unruhestifter, der im deutschen Kino eine seltene Ausnahme war, weil er so offensichtlich um sich selbst und seine Obsessionen kreiste. Das Filmmuseum Frankfurt/M. gab einer dem Schauspieler gewidmeten Ausstellung den einzig gerecht werdenden Titel: “Ich, Kinski”.
Von letzterem, zugeneigten Gefühl spricht auch ein Gedicht, hinein gekritzelt in den Frontispiz eines Kinski-Buches, das vor Jahren in der Frankfurter Unibibliothek auszuleihen war (s. Abb.). Die Mechanik ist kompliziert, aber sie funktioniert: Ein unbekannter Fan spricht als von Kinski verfasstes Buch; mit dem Furor des Erotischen ist eine Ausleiherin, ein “Mädchen” gemeint, das der Entzündete (noch) nicht kennt. Kinowirkung um ein paar Ecken, sozusagen.
Interstellar wird am 11. November im Kunstforum Altes Rathaus zu sehen sein. Einführen in den Film wird der Filmwissenschaftler Andreas Rauscher, der u.a. Bezüge zur Bildkunst der USA im 20. Jahrhundert herstellen wird.